Walter Braunfels (1882-1954):

Die Vögel

englisch The Birds / französisch Les 0iseaux

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1913-19
Uraufführung: 30. November 1920 in München (Nationaltheater)
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Erstdruck: Wien: Universal Edition, 1920
Bemerkung: Aristophanes schuf diese Komödie etwa vierhundert Jahre vor unserer Zeitrechnung und brachte satirische Anklänge auf das damalige Zeitgeschehen in das Stück mit ein. Walter Braunfels bearbeitete den Stoff und schuf eine der bedeutendsten Opern des zwanzigsten Jahrhunderts. Geschickt inszeniert und virtuos gesungen, findet das Werk nach langem Dornröschenschlaf in der Gegenwart die Würdigung, die einem solchen Bühnenwerk gebührt.
Opus: op. 30

Zur Oper

Art: Lyrisch-phantastisches Spiel in zwei Akten
Libretto: Walter Braunfels nach Aristophanes
Sprache: deutsch

Personen der Handlung

Nachtigall
Hoffegut
Ratefreund
Prometheus
Adler-Zeus
Wiedhopf
Rabe
Zaunschlüpfer
Flamingo
Weitere: erste Drossel, zweite Drossel, erste Schwalbe, zweite Schwalbe, dritte Schwalbe, zwei Meisen, vier Tauben, vier Wendehälse, zwei Kibitze, drei Kuckucke

Handlung

Prolog:

Die Nachtigall ist ein wenig überrascht, dass die Opernbesucher in so großer Zahl erschienen sind. Die liebenswerten Freunde haben das Reich der Vögel entdeckt und sind aufgefordert, vom Alltag ein wenig Abstand zu nehmen und sich zu fühlen wie im Urlaub. Stress ist ein Fremdwort und Mobbing gibt es hier nicht, denn das beschwingte Reich der Vögel ist ein Ort, welcher Entspannung pur anbietet. Man kennt keine Sorgen, keine Schmerzen und keinen Hass. Kurz, das Leben wird leicht genommen - jede Stunde hält neue Freuden bereit. Die Liebe ist allerdings nicht immer nur Vergnügen - süße Qual und der Schmerz der Sehnsucht sind oftmals beigemengt. Wen es erwischt, soll nicht verzagen! Fröhliches Trällern ist eine gute Medizin gegen jedes Missgeschick.

1. Akt:

Zwei Touristen, die auf die seltenen Namen Hoffegut und Ratefreund hören, befinden sich auf Wanderschaft und haben sich der gebirgigen Felslandschaft genähert, die zum Königreich der Gefiederten gehört. Offenbar haben sie sich verlaufen, denn ihr Reiseführer hat die Wanderwege, wenn überhaupt vorhanden, nur unzureichend markiert. Deshalb hat jeder einen Vogel dabei - eine Krähe und eine Dohle - die durch akustische Signale Fehltritte sofort anzeigen und wieder auf den rechten Pfad zurückweisen. Ziel der beiden Wandervögel ist ein Besuch beim Wiedhopf, dem König der Vögel. Bei ihm wollen sie einen Asylantrag stellen, denn das Leben in der Stadt gefällt ihnen nicht mehr. Den Ratefreund treibt es fort, weil die hohe Kunst in den urbanen Gebieten völlig entartet ist und er im Reich der Vögel Trost und Ablenkung finden möchte. Hoffegut fühlt sich vom Vogelhändler betrogen, denn seine Dohle hat nichts anderes im Sinn, als ihn zu beißen. Schon die Mädchen haben unserem Freund böse mitgespielt und nun glaubt er in seiner Naivität, bei den Vögeln ein passendes Liebchen zu finden.

Der Zaunschlüpfer hat die beiden lustigen Wandergesellen zuerst bemerkt und befürchtet, dass es Vogelhändler aus Tirol sind. Doch Hoffegut beschwichtigt ihn und lügt, dass er kein Mensch, sondern ein seltener Vogel aus Afrika sei. Ratefreund stell sich als Hosenkakadu vor. Der Zaunschlüpfer traut den beiden Strolchen nicht über den Weg und verlangt, den Personalausweis zu sehen.

Bevor er Ansprüche stelle, solle der kleine Ulk sich zuerst einmal selbst vorstellen. Er sei ein Vogelsklave, behauptet er stocksteif - als seinen Herrn erkenne er den Wiedhopf. Wenn dieser Brei essen möchte, muss er schlüpfen, um sein Schneckenschüsselchen zu holen. Der kleine Kammerdiener möge doch bitte so freundlich sein, sie beide anzumelden. Der Zaunschlüpfer zögert und möchte erst zu einem späteren Zeitpunkt seines Amtes walten, denn der König habe eine große Portion Schnaken gegessen und hält gerade sein Verdauungsschläfchen. Unsinn, das niedliche Tierchen soll seinen Herrn sogleich wecken, verlangt Ratefreund! Die kesse Art des kleinen Türhüters gefällt den beiden Ankömmlingen nicht.

Der Wiedhopf hat aus seinem Versteck Stimmen vernommen. Kleine Vogeltrabanten biegen das Gebüsch auseinander und langsam tritt der Verschlafene hervor. In Missachtung des Hofzeremoniells begrüßt Ratefreund den edlen König mit der Frage, ob er heute schon königlich gelaust worden sei. Zudem mache er einen zerrupften und geschundenen Eindruck. Der Wiedhopf liebt es nicht, ob seines ungepflegten Gefieders verspottet zu werden. Er sei früher auch ein Mensch gewesen, aber auf seine Bitte habe Zeus ihn transformiert, weil es ihm beliebte, sich den Vögeln anzuschließen. Wo sind seine Federn geblieben? Es sei jahreszeitlich bedingt, dass er Federn lassen muss, damit sie zehnmal schöner wieder nachwachsen, wird dem Neugierigen erklärt. Kurze Frage, kurzer Sinn! Was wollen die beiden Landstreicher hier? Sie möchten ein Weilchen bei ihm bleiben, seinem Gesang lauschen, von dem sie schwärmen, um zu lernen und zu profitieren. In der gepriesenen großen Stadt sei die Kunst entartet und die Musen bluten aus zahlreichen Wunden. Die beiden Studenten möchten das süß tönende Reich der Vögel kennenlernen, in dem das Erfühlte noch Vorrang genießt und sich die Chance bietet, losgelöst von der Anziehungskraft der Erde ein erfülltes Dasein zu finden.

König Wiedhopf hat kein eigenes Reich, in dem er souverän gebieten kann, klagt er und weint bitterlich. Er weiß nicht, wie lange seine Untertanen noch Morgentau trinken und sich von knackigen Körnern ernähren können. Das Nachbarvölkchen der fetten Hummeln hat ebenfalls keine Ahnung, wie lange es sich zwischen den schwarzen Staubgefäßen des Klatschmohns noch pudern kann. Die beiden Besucher sollen gen Himmel schauen: alles Böse kommt aus den Wolken. Ratefreund und Hoffegut sind bedrückt, König Wiedhopf, der um seine Souveränität bangt, so niedergedrückt zu sehen. Der Monarch behauptet sogar, für ihre Sicherheit keine Garantie übernehmen zu können, und spielt mit dem Gedanken, ihren Asylantrag ablehnen.

Ratefreund stellt die Behauptung auf, dass es den gefiederten Freunden vorbehalten sei, große Taten zu vollbringen. Er schlägt vor, zwischen Himmel und Erde eine Stadt zu bauen, die bis in die Wolken reicht und sehr großflächig sein sollte. Was können Vögel mit einer Stadt anfangen? Der Wiedhopf glaubt, nicht richtig gehört zu haben! Mit ungeheuren Mauern soll sie umgeben sein, die den kühnsten Stürmen Trotz bieten. Dann ergibt sich auch die Möglichkeit, die Götter auszuhungern. Wie soll das funktionieren? Lassen wir den guten Ratefreund selbst zu Wort kommen:

Ist zwischen Erd' und Himmel nicht die Luft? In weitem Umkreis sperrt ihr sie ab. Sobald die Menschen den Himmlischen opfern wollen, euch aber keine angemessenen Zölle hinterlegen, gewährt ihr den erquickenden Dünsten, welche die Rauchopfer verursachen, durch eure Tore keinen freien Abzug mehr. Den Göttern, die sich über den Wolken so sicher wähnen, rückt ihr zu Leibe, weil sie der dampfenden Atzung bedürfen. Sobald diese ausbleibt und ihr Lebensnerv bedroht ist, werden sie eure Gnade erflehen und ihr seid dann die Herren und sie die Knechte.

Gut ausgedacht, aber hat der König auch alles richtig verstanden? Also wird eine Flugverbotszone für unverzollten Qualm eingerichtet. Der Rauch, der von den Opferaltären aufsteigt, ist das Labsal der Götter und wenn die Zufuhr der Dämpfe gesperrt ist, müssten die Himmlischen verhungern. Deshalb werden sie sich hüten, unfreundliche Maßnahmen gegen die Vögel zu ergreifen und sich untertänig zeigen. Das ist ein klug ausgedachter Plan. Der Wiedhopf springt vor Freude im Dreieck. Er wird die Nachtigall herbeigerufen, damit diese mit Hilfe ihrer herrlichen Koloraturen allen Vögeln die Absicht klarmacht und den Bauplan vorstellt.

Die Nachtigall ist eingetroffen und lässt ihren süßen Schall ertönen. Schon bald ist alles Gebüsch überzuckert von ihrem Gesang. Die Vögel stürmen herbei, denn sie wollen wissen, was es zu verkünden gibt. Das Haselhuhn auf den Feldern und der Sturmvogel über dem Meer erscheinen, selbst der Adler stürzt aus dem höchsten Blau zur Erde herab.

Es dauert ein Weilchen, bis alle Gefiederten versammelt sind - von jeder Kategorie ein paar Exemplare. Obwohl jede Rasse in eigener Sprache tönt, versteht man sich prächtig, so lange es dauert. Man hört die Laute „zia zia zikatüka“ von den Schwalben und „tiati tiato titi, titi“ klingt es von den Drosseln. „Tototix“ ist ein Wort der Flamingosprache und die Silbe „Gruh, gruh“ kommt von den Tauben. Die Nachtigall ist mit dem Erfolg ihres Aufrufs zufrieden: „Schon seid ihr nah, bald seid ihr da!“ Es kommen die Grasmücken, sowie Kuckucke und Kibitze.

Doch bei den Störchen erwecken Ratefreund und Hoffegut Misstrauen. Gravitätisch schreiten die Stelzvögel um die beiden herum und klappern im Rhythmus aggressiv mit den Schnäbeln. Unsere Freunde bekommen Platzangst. Der Schrecken ist begründet, denn mit offenen Schnäbeln kommen Streithähne in unangemessener Form auf sie zu. Der Opernbesucher registriert, wie sie trippeln und wie sie piepen, zetern, krächzen und flattern; das Drosselzeug ist außer Rand und Band. Menschen bedeuten Verrat! König Wiedhopf gelingt es nur mühsam, den Waldfrieden wieder herzustellen. Er verweist auf die tolle Idee der beiden, eine eigene Stadt zu bauen - ein architektonisches Wunderwerk sei in der Planung! Der Mensch, der einst ihr Freund und Bruder war und mit ihnen die Ressourcen in Wald und Feld teilte, habe sie verraten! Das menschliche Geschlecht sei ihnen von allen das Verhassteste, zetert der Vogelchor. Der Rabe krächzt, dass man eher ein ernstes Wörtchen mit den beiden sprechen solle, als ihrem Hilfsangebot zu trauen. Man sollte sie in Stücke reißen!

Ratefreund und Hoffegut geraten zu allem Überfluss auch noch selbst miteinander in Streit. Nur wegen seiner Kunstbegeisterung seien sie in der Zwickmühle gelandet, wehklagt der eine. Bittere Tränen möchte der andere weinen. Dann soll er sich beeilen, bevor die Gefiederten ihm die Augen auspicken! Tatsächlich gibt es im Ansatz eine körperliche Aussprache, aber sich der drohenden Gefahr bewusst, halten die beiden Freunde dann doch wieder zusammen und versuchen sich gegen die Randalierer mit Töpfen und einem Bratspieß ihrer Haut zu wehren.

König Wiedhopf versteht es, moralische Argumente ins Feld zu rücken: Das verrückte Vogelzeug soll einhalten und keine Freveltat begehen. Wollen sie etwa die Männer morden, die ihnen nichts getan haben? Ach, was! Trügerisch, treulos und aller Laster Ausbund seien die Menschen, dazu noch neidisch und boshaft. Ihre Netze spannen sie aus, um Singvögel einzufangen; gerupft werden sie als Delikatesse verzehrt. Hühner werden als Haustiere gehalten und ihnen die gelegten Eier weggenommen, so dass die Geburtenrate ständig sinkt. In Scheibchen geschnitten werden die Dotter aufs Brötchen gelegt oder als Omelett verspeist.

Die Situation ist ernst und Ratefreund versucht zu besänftigen und mit Schmeichelei etwas auszurichten Die Vögel seien uralten Geschlechts - viel älter als Zeus und Kronos - deshalb gebühre ihnen auch die Herrschaft in der Welt. Durch den Bau einer mächtigen Feste werden sie diese wiedergewinnen.

Die Vögel sind von der Idee begeistert und man fängt sogleich mit der Arbeit an. Ratefreund übernimmt die Bauleitung. Jeder Vogel kommt gemäß seiner Begabung zum Einsatz: Die Kraniche schleppen in ihren Kröpfen die Steine herbei, die Ibisse behauen sie mit ihren Schnäbeln, die Lehmziegel formen die Störche und das Verstopfen der Ritzen besorgen die Singvögel. Es wird der 24-Stunden-Tag eingeführt.

Wie soll dem Meister nun gedankt werden? Ein schöner Kopfputz von ausgerupften Federn soll seinen Zweck erfüllen, nachdem Ratefreund seinen Anspruch auf Anerkennung begründet hat.

„Meine Weisheit schwellet eure Macht.
Ich hab's erdacht, wenn bis zur Nacht
ersteht in Pracht, was euer lacht,
verdankt ihr's mir
Drum heisch' ich auch,
dass ihr mich ehrt nach Landesbrauch.“

2. Akt:

Haben Nachtigall und Hoffegut sich etwa ineinander verliebt? Unter einem Busch im Wald hatte der Vertreter des Menschengeschlechts sich ein Schlafplätzchen gesucht:

„Ja, schön hier zu verträumen
die Nacht im tiefen Wald,
wenn zwischen dunklen Blumen
das alte Märchen schallt.
Die Berg' im Mondesschimmer
wie in Gedanken stehn,
und durch verworrne Trümmer
die Quellen klagend gehen.“

Waldrauschen und Mondzauber verwirren den Sinn und berücken das Herz des Poeten. Plötzlich hört Hoffegut den Gesang der Nachtigall und erwacht aus seinen Träumen. Das Vögelchen hoch oben im Baum soll sich zu ihm setzen, wenn es ihn sehen kann und ihm seine Nähe Behagen einflößt!

Die Nachtigall leugnet, ihr Liedchen ausschließlich für ihn gesungen zu haben. Im Wald gäbe es viele Ohren, die es gewohnt sind, ihrer holden Sangeskunst zu lauschen. Das Vögelchen wiegt sich im Geäst, die Stimme klingt wie Silber, aber sein Gesang ist viel zu weit weg. Deshalb fordert Hoffegut den Sänger auf, sich zu ihm herabzuschwingen, denn er möchte sein Federkleid streicheln.

Die Menschen seien zu kompliziert, kommt es zurück. Sie stolzieren gespreizten Fußes umher und sprechen hochtrabende Worte. Was kann ein Vögelchen mit einfachem Sinn mit einem Menschenkind schon anfangen? Aber es gibt zu, der Fremde habe sie neugierig gemacht, sie möchte ihn gern aus der Nähe betrachten. „Los komm!“ Die Nachtigall schwingt sich herab und gleitet sogleich wie zufällig in seine ausgebreiteten Arme. Sie muss darüber lachen, einem Menschen so nahe zu sein, er soll sich nichts einbilden und auch nicht verspottet fühlen, wenn sie ihn lustig findet. Ja, recht so! Das süße Vögelchen solle ganz nahe herankommen und ihn sein Herzchen fühlen lassen. Die Pumpe schlägt rasch und das kleine Brüstchen hebt und senkt sich. Von seiner Wärme fühlt er sich sanft berieselt. Ist es auch wahr, schlägt das Herzchen nur für ihn? Seine Herzensharfe kann sie auch hören, allerdings verhalte der Rhythmus sich ein wenig traurig und unregelmäßig, antwortet der Singvogel.

Die Nachtigall möchte in ihrem Wesen gern sein wie er. Das sei nicht gut! Sie solle lieber so bleiben, wie er sie wahrnimmt. Auch Gegensätze haben die Angewohnheit, sich nicht immer anzuziehen, aber was sie miteinander verbinde, sei die Liebe. Ach, so nennt man das! Fühlt die den Gleichklang der Herzen nicht? Die Schwingungen führen die Seele sanft in traumverlorene Fernen, an Orte wo Leid und Lust sich gegenseitig aufheben.

Mit dem Verblassen des Mondes und der zunehmenden Dunkelheit verändert sich der Wald und die Bäume nehmen transparente Formen an. Die Blumendüfte machen auf sich aufmerksam! Die im Süden beheimateten Arten berauschen die Sinne und sind gutartig geschaffen, während die Gesellen aus dem Norden die Feuchtigkeit ins Land bringen und auf Bosheit aus sind. Wer Blumenduft einatmet, ist verzaubert. Sollte der Wanderer seine Nase dagegen in die falsche Richtung gereckt haben, kann er ein blaues Wunder erleben. Hoffegut geht es so. Er bekommt strengen Duft in die Nase und sinkt bewusstlos zu Boden.

Die entstandene Stadt gleicht einer Fata Morgana. Von der Sonne bestrahlt, kommt das edle Gespinst kraftvoll und stolz zur Geltung. Der Opernbesucher muss sich die Vogelstadt architektonisch nicht so vorstellen wie einen Ort mit menschlichen Behausungen. Die Aufzucht der Kinder folgt anderen Gewohnheiten und die Innenarchitektur weicht erheblich von der Erscheinungsform derjenigen der Menschenkinder ab.

Der Stolz, mit eigenen Schnäbeln und Füßen etwas Grandioses geschaffen zu haben, kennt keine Grenzen - die kleinsten Piepser haben den größten Schnabel. Den Göttern haben sie ein Schnippchen geschlagen;die Frechheit der Hochgestellten kann sie nun nicht mehr erreichen.

Wiedhopf bestätigt:

„Nun steht in Pracht
was euer lacht,
was ihr geschafft
aus eigener Kraft.
In Jubelchören lasst euch hören,
dass laut es schall'
durch Berg und Tal:
DIE VÖGEL BAUTEN SICH EINE STADT.“

Ratefreund stachelt die Eitelkeit der gefiederten Freunde noch an. Er macht ihnen deutlich, dass Mensch und Tier ihnen nun durch den erworbenen Machtzuwachs untertan sein müssen. Schließlich ist das Geschlecht der Vögel älter als Kronos - der Urahn der Götter hatte ihnen einst die Herrschaft weggenommen. Der Spieß hat sich gedreht, denn jetzt gehört die Welt wieder ihnen.

Ein Hochzeitszug naht aus der Ferne, der Zaunschlüpfer führt ihn an. Ein Taubenpaar hat sich da Ja-Wort gegeben. Es ist die erste Hochzeit in der neuen Stadt. Mit Reigentänzen und freudigen Gesängen soll das Ereignis gefeiert werden. Die Pelikane mimen die Polizisten und koordinieren die Marschrute der Festgäste und die Strauße fegen mit ihrem Gefieder die Straße blank. Auf zwei Stangen tragen Kraniche ein fertiges Prunknest. Kolibris schmücken das Kunstwerk mit Blumen und Prachtfinken garnieren es mit bunten Beeren.

„Nest gebaut, naht die Braut,
Nest gebaut, wie ihr schaut,
wohlgebaut, naht die Braut.“

Stolz und aufgebläht umtänzelt der Täuberich sein Weibchen, welches von Brautjungfern umgeben, ein bisschen verschämt tut. Doch das gehört zum Ritual. Der Bühnenregie ist es überlassen, die Vogelhochzeit mit allerhand Schnickschnack nach Belieben auszudehnen.

Doch plötzlich tritt ein unerwartetes Ereignis ein. Ein unheimliches Wesen - gewiss nicht von dieser Welt - verursacht einen gewaltigen Aufruhr. Es hat die Absperrungen durchbrochen und die Ordnungspolizei einfach zur Seite geschoben. Die Vögel verstecken sich hinter ihrem König und dieser wiederum hat Deckung hinter Ratefreund gesucht. Die Empörung ist gewaltig. Offenbar wird die Macht, welche den Vögeln zukommt, grob missachtet. Wer ist der Eindringling und was will er? Hat er überhaupt ein Einreisevisum? Die Vögel sind froh, dass Ratefreund die Rolle des Wortführers übernimmt. Den Namen und den Wohnbezirk, aus dem er kommt, soll der Fremde jetzt zu Protokoll geben!

Der Eindringling erklärt, dass er aus höheren Luftschichten zu ihnen herabgestiegen sei und eine große Distanz zurückgelegt habe. Warum schleicht er tiefverhüllt umher, dass man nur seine Nasenspitze wahrnehmen kann? Es herrscht Vermummungsverbot im Reich der Vögel, weiß er das nicht? Das böse Blitzen seiner Augen verrät, dass er Übles im Schilde führe.

Das fremde Wesen mit den körperlichen Ausmaßen eines Riesen behauptet, dass ihm kalt geworden sei! Ratefreund fragt, aus welchem Ofen er aufgestiegen sei? Die Sonne scheine doch freundlich auf die Höhen; an diesem sonnenhellen Morgen sei es doch nicht kalt! Er komme daher, wo es weder Morgen noch Abend gebe. Der Fremde solle jetzt endlich erklären, wer er sei, damit Vögel und Menschen ihm trauen können. Einst war er den Menschen freundschaftlich verbunden und das Vogelvölkchen liebte er als der Gottheit lieblichstes Lichtgeschenk, kommt die überraschende Antwort. Wenn er ihr Freund sei, wie er behauptet, dann soll er die Gesetze des Vogelreichs respektieren und die Buße bezahlen, die das Gesetzt für illegale Einreise festgelegt hat, fordert König Wiedhopf ihn auf.

Wofür soll er, bitteschön, Buße bezahlen, fragt der unheimlich anmutende Eindringlich zurück. Er soll nicht dumm tun: die Zeiten sind vorbei, in welchen Menschen und Vögel den Göttern als Sklaven dienten. Zeus wird es bald zu spüren bekommen, dass sie ein freies Vogelvolk sind und nicht mehr nach fremder Pfeife tanzen wollen. Der Fremde ist belustigt. Er kam her, um zu warnen, und verdiene weder Kritik, noch provozierende Behandlung. Zeus habe längst mitbekommen, was geschehen sei, behauptet er, verhalte sich aber großmütig und gebe Zei, zu bedenken, was die Stadtverwaltung angestellt habe. Die Antwort kommt im Chor. „Hoch ragt die Festung in den Himmel und die Macht der Götter wird zerbrechen!“ Sie seien jetzt frei! Kennt der Arme nicht die Weisheit, dass alle Wesen Brüder sind? Allem Fron, der sie drückt, sind sie nun entrückt!

Dem Giganten wird es nun zu dumm, dem Schwachsinn länger zuzuhören und mit Blödeln fortzufahren. Er richtet sich hoch auf, öffnet seinen Mantel und setzt zu einem gewaltigen Monolog an. „Haben die Kindlein nie von Prometheus gehört?“ Aufgewühlt erzählt er die Geschichte seiner eigenen Freveltat und seiner Bestrafung.

Ratefreund ist perplex: „Prometheus hier zu Gast? Zum Kuckuck auch! Ei, alter Freund, wie schön von dir, dass du dich auch mal herbemühst; wie geht es dir denn?“

Dem einfachen Sinn der Vögelchen ist es nicht zuzumuten, den umständlichen Ausführungen, die Prometheus nun vom Stapel lässt, in allen Einzelheiten ohne Kenntnis des Vorangegangenen zu folgen. Das Federvieh bringt in Erfahrung, dass Zeus nach wie vor auf dem Goldstrahlenthron sitzt und alles, was die Vögel veranstalten, als dumme Spielerei betrachtet.

Ihm selbst sei es einst schlecht bekommen, als er der Macht Göttervaters spottete und sich auflehnte. Die Vögelchen sollen sich seine wundgescheuerten Handgelenke einmal betrachten. Die Blessuren entstanden, als er an seinen Ketten rüttelte, um sich von ihnen zu befreien. Am Felsen war er angeschmiedet und ein Adler mit gesundem Appetit fraß an seiner Leber.

Noch haben die Gefiederten Zeit, ihren Hochmut hinter sich zu bringen und von bösen Werken Abstand zu nehmen. Der Ewige, der hoch über allen Königen thront, kann verzeihen, denn auch ihm hat er verziehen. Eigentlich wurde er in den Tartarus verbannt, aber hin und wieder bekommt er Urlaub, um Mensch und Vieh nahe zu sein, für die er sich einst verwandte und denen er Feuer brachte.

Ratefreund schlägt alle gut gemeinten Ratschläge in den Wind. Man solle Zeus ruhig thronen und regieren lassen, wenn es ihm Spaß macht. Aber wahrscheinlich hat er Scheu vor dem Grimm der Vögel! Die Unbelehrbaren sollen sehen, dass Zeus kommt, um sie zu bestrafen, reagiert Prometheus. Ratefreund erwidert, dass die Vögel sich zu wehren wissen, formuliert die Kriegserklärung und ruft sie dem scheidenden Prometheus hinterher.

Mit übermütigem Geschrei untermauern die Vögel die voreilige Entscheidung ihres Wortführers. Mächtiges schwarzes Gewölk zieht sich am Himmel zusammen. Doch als letzte Warnung schickt Zeus seinen Adler. Dieser berichtet, dass er das Auge des Zeus blitzen sah. Aus der Ferne hört man Prometheus rufen, dass Zeus erwacht ist und die Strafe naht. Unruhe breitet sich unter dem Vogelvolk aus. „Zeus ist erwacht, und was nun?“ König Wiedhopf lässt Ratefreund raten und dieser rät, dass man die Zinnen besetzen und die Tore bewachen soll. Wiedhopf ist die Situation nicht geheuer. Ungewohntes haben die Menschen angezettelt. Man muss doch nicht gleich den Mut verlieren, wenn überraschend einmal ein Gewitter kommt. Doch Hoffegut hofft vergeblich. Was haben die Toren nur angestellt?

Offenbar kennt der Himmel kein Erbarmen. Es fängt wolkenbruchartig an zu regnen und Ratefreund sucht nach einer Höhle, damit er nicht nass wird. Das Wehgeschrei unter den Vögeln wird immer lauter. Wiedhopf fürchtet, dass es nun allen an den Kragen geht. Die Winde nehmen untereinander Kontakt auf: „Seid ihr alle da?“ Vom Olymp kommandiert Zeus, dass jetzt der Nordwind seine Kräfte entfesseln soll. Zur Bekräftigung seiner Entschlossenheit schickt der Herr der Naturkräfte einen Kugelblitz. „Nieder!“ ertönt seine gewaltige Stimme und die schöne Stadt geht in Flammen auf. Die zahlreichen Nistplätze und Gelege brennen lichterloh.

Den rettenden Einfall hat die Nachtigall. Aus dem Gebüsch ertönen ihre Koloraturen zum Lob auf den Weltenlenker. Er sei heilig, dafür gebühre ihm Lob und ein Preis. Hoffegut teilt die Ansicht, dass Zeus groß ist. Allgemein befürwortet man, dass man aus Gründen der Zweckmäßigkeit Zeus seine Herrlichkeit auf ewig lassen soll. Götter haben die Qualität schnell beleidigt zu sein, genießen es aber auch, sich schnell wieder zu versöhnen zu können. Der Zorn ist bald verraucht, nachdem das Gespinst abgebrannt ist.

Ratefreund kommt aus seiner Höhle heraus - sein schöner Kopfputz ist allerdings hinüber. Sein Humor ist ihm geblieben, denn er kann schon wieder Witze machen. Zitieren wir ihn:

„Zum Kuckuck, Freund, das war ein Spaß,
wie bin ich pudelnass!
O welch ein Blödsinn,
hierher zu wandeln,
mit dem Wiedhopf anzubandeln,
eine Stadt gar auf Wolken aufzubaun,
o welch ein Graun,
o welch ein Blödsinn!
Dann das Gewitter,
ach, das war bitter,
das war kein Spaß,
wie bin ich nass,
das war ein Graus,
wär ich zu Haus, ach ja, zu Haus!
Zu Haus, da hab ich meinen Ofen,
hab' meine Gemütlichkeit und sing' mir eins.
Aber was tust du eigentlich noch hier?
So komm doch mit!“

Der Freund nimmt die Aufforderung an. Was soll er hier noch? Die Vögel sind alle fort.

Hoffegut fragt sich, ob das alles war, weshalb er auszog, um neue Eindrücke zu sammeln. Tatsächlich vorbei? Ein Traum geträumt, um zu verwehen? Aus der Ferne ertönt die Stimme der Nachtigall. Mit ihr hat er sich verstanden. Jetzt weiß der Poet, dass der Abstecher in die Welt der Vögel für die Bildung seiner Persönlichkeit von Wichtigkeit war.


Letzte Änderung am 21.10.2011
Beitrag von Engelbert Hellen