Christoph Willibald Gluck (1714-1787):

Écho et Narcisse

deutsch Echo und Narziss / englisch Echo and Narcissus

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1778-79, rev. 1780
Uraufführung: 24. September 1779 in Paris (Académie Royale de musique)
8. August 1780 in Paris (Académie Royale de musique)
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Erstdruck: Paris: Des Lauriers, ca. 1779
Verlag: Kassel: Bärenreiter, 1955
Bemerkung: Christoph Willibald Glucks letzte Oper sollte zum Fiasko werden. Sein Publikum erwartete nach vielen Reformopern Steigerung und Fortsetzung dieser Linie und nicht die Rückkehr zu barocken Gepflogenheiten. Das schwache Textbuch Tschudis gab dem Werk den Rest und verschaffte dem Opus in Paris nur einige wenige Aufführungen. Nach einem Schlaganfall zog der Komponist sich nach Wien zurück und schuf eine neue Version, der es ein wenig besser erging.

Zur Oper

Art: Drame lyrique in 3 Akten und einem Prolog
Libretto: Louis Thédore Baron de Tschudi nach Ovids Metamorphosen
Sprache: französisch

Personen der Handlung

Écho / Echo: Nymphe, Herrscher über Wald und Wasser (Sopran)
Narcisse / Narziss: ein Jäger, Sohn des Cephisus (Tenor)
Amour / Amor: Gott der Liebe (Sopran)
Cynire: ein Freund von Narcisse (Tenor)
Eglé: Nymphe (Sopran)
Aglaé: Nymphe (Sopran)
Thanaϊs: Nymphe (Sopran)
Sylphie: Nymphe (Sopran)
Weitere: Sylphen, Zephire sowie Gefolge von Amour, Écho und Narcisse

Handlung

Prolog:

Der Komponist hat die Liebesfreuden und Liebesleiden personifiziert und lässt sie als Chor auftreten. Durch leichtes Säuseln macht sich der linde Atem der Zephire bemerkbar und vermischt sich mit den Seufzern der Liebenden.

Die Tore des Tempels, der das kleine Wäldchen schmückt, öffnen sich und das Publikum sieht den Liebesgott Amor, wie er sich auf seinem Rosenbett herumflegelt. Der Genannte ist des launischen Geplänkels bald überdrüssig, erhebt sich und steigt die Stufen des Tempels herab.

Er fordert Nymphen und Sylphe auf, die heiteren Spiele vorläufig zu beenden und sich aus der milden Ruhe des grünen Laubes zu entfernen. Die Zephire sollen in sich in die Lüfte erheben und für weitere Befehle bereithalten.

Amor gefiel es, in dieser Abgeschiedenheit zwei junge Herzen miteinander zu verbinden. Narcisse und Écho genossen die Freuden seiner Großzügigkeit. Mit diesem Schabernack will er seinen Onkel Apoll ärgern, der sich ebenfalls um Échos Nähe bemüht. An ihrem neuen Liebhaber wird sich dieser sich nun rächen.

Der Liebesgott beabsichtigt, mit Hilfe eines verhängnisvollen Zaubers den Narcisse auf Abstand zu halten. Seinen Groll wird er anstacheln und das Glück soll Écho zur Qual werden. Doch wer könnte Amor widerstehen? Nichts in der Natur entgeht seinen Pfeilen, weder der geharnischte Krieger noch der Jäger in den Wäldern. Immer wieder benötigt Amor die Bestätigung, dass sein Wirken, Menschen, Götter und Halbgötter zur Liebe zu zwingen, unentbehrlich ist.

Freuden und Leiden sollen ihm helfen umzusetzen, was er sich ausgedacht hat. Amors Gefolge tanzt und wiederholt im Chor, dass die positiven und negativen Attribute des Liebesspiels ihn unterstützen werden.

1. Akt:

Durch lautes Rufen macht Aglaé sich bemerkbar, denn sie hat eine wichtige Botschaft zu verkünden. Die Schäfer und Najaden sollen herbeikommen, denn hier am Nymphenbrunnen hat Amor eine Hochzeit angesetzt. Er will Écho, die Tochter der Königin der Lüfte, mit Narcisse, den Sohn des Kephisus verheiraten. Musik und Jubelchöre sollen sie als Hochzeitsgäste beisteuern. Eglé ist erstaunt, dass die schöne und bescheidene Écho, die allen als besonders sittsam bekannt ist, eine Hochzeit geplant hat. Eilig kommen sie herbei, um zur Feier des Tages von den Göttern gutes Wetter zu erflehen.

Écho hat sich festlich gekleidet und ihre Freundinnen haben sie mit Blumengirlanden geschmückt. Die Braut trägt ein Körbchen mit weißen Tauben an der Hand, die sie dem Gott an seinem Altar opfern will. Doch wer nicht kommt, ist der Bräutigam. Écho wartet vergebens.

Es kommt Cynire, der von Écho wissen will, weshalb ihre Augen so traurig schauen. Wer hätte geglaubt, dass Narcisse seinen Eid bricht. Offenbar ist er durch ihren Anblick verwirrt und weicht ihr aus. Gegen solchen Argwohn soll sie sich zur Wehr setzen, denn sobald ein zartes Herz liebt, sorgt es sich allzu sehr. Aber sie hat gesehen, wie er Doris zärtliche Blicke zugeworfen hat. Écho soll sich keinen falschen Verdacht ausdenken. Die Andere sieht aber in jedem Fall vorteilhafter aus, weil sie sich schöner zurecht macht, während sie ihr Aussehen vernachlässigt habe - die Augen der Rivalin blicken voller Lust! Narcisses Freund soll ihr sagen, ob er den Verrat geplant hat, weil sie sich doch sonst auch alles erzählen.

Cynire muss gestehen, dass er um den Freund auch besorgt ist, denn er läuft durch die Wälder, als ob ein Rachegott ihn verfolge. Aus Angst und Einsamkeit erkenne er nicht einmal mehr seine Stimme. Ach, im Wald verbirgt er sich also und hält sich dort eine neue Geliebte! Bitte keinen falschen Verdacht gegen seinen Freund! Cynire entfernt sich.

Écho, nun allein, wendet sich an Amor direkt, denn er sieht die Schmerzen, die ihre Seele erduldet. Nur hier am Fuße seines Altars findet die zitternde Écho Ruhe. Amor soll ihr sagen, ob sie noch geliebt wird. Zu tief hat der Freund sie gekränkt. Seine Liebe besitzt sie nicht mehr - dessen ist sie sicher.

Eglé fordert die Freundin auf, sich am Spiel zu beteiligen, doch Écho entschuldigt ihre Abwesenheit mit ihrem Herzenskummer. Doch in diesem Moment sieht sie Narcisse herankommen. Er ist völlig verstört und beugt sich über die Nymphenquelle, erkennt sein Spiegelbild nicht und glaubt eine fremde Göttin zu sehen. Als er sie anlächelte, lächelte sie auch, und als er weinte, zeigte sie ihm ihre Tränen. Seinem Rivalen kündet er hasserfüllt, dass er ihn mit tausend Speeren durchbohren will. Écho hört mit und zieht falsche Schlüsse.

Gerade spricht er wieder zu seinem Spiegelbild, welches in ihm den Eindruck erweckt, als wolle es seufzen. Écho kommt den Hügel hinunter und erkennt Narcisses Verwirrung. Amor schaltet sich zweimal ein und macht Narcisse darauf aufmerksam, dass Écho ihn anspreche. Sie bekennt, dass sie seine treue Geliebte sei. Ohne ihn habe sie keinen glücklichen Tag. Jetzt fliehe er vor ihr. Narcisse antwortet, dass sein Kummer und ihre Sorgen sein Herz quälen. Der Verführung jeder Sterblichen hätte er widerstanden, aber sein Herz liegt in der Macht eines Gottes. Er kann sie deshalb nicht trösten und ihre Tränen nicht ertragen. Sieht er nicht, dass sie völlig verzweifelt ist? Écho urteilt: Wie kann er sich selbst seiner Geliebten vorziehen. Er ist es doch selbst, dessen Anblick er bewundert. Sieht er nicht ganz klar? Narcisse geht wortlos seines Wegs.

Cynire taucht auf und Écho hat einen Dialogpartner, der Interesse zeigt. Ihre Hoffnung ist entschwunden. Alles sei vorbei. Ihr bleibe nur der Tod! Im klaren Wasser sah Narcisse sich selbst, glaubte aber eine Göttin zu erblicken und nun ist er für sich selbst entbrannt.

Kann er sich einen größeren Schmerz vorstellen? Gegen Doris' Reize hätte sie sich zur Wehr setzen können, weil sie es mit der Rivalin aufgenommen hätte. Aber nun hat sie überhaupt keine Nebenbuhlerin. Das ist ihr großes Unglück. Wenn es eine neue Leidenschaft gäbe, die ihn verführte, dann wüsste sie, dass er noch Gefühle habe. Wäre sein Herz verliebt, würde sie es zurückerobern, aber vor einem Gefühllosen muss sie kapitulieren.

Doch Cynire hat Trost. Bei einem Spaziergang am Meeresufer sei er auf Proteus getroffen und er habe ihn über das seltsame Verhalten seines Freundes befragt. Apollo habe sich über ihre Zurückweisung geärgert, informiert er, und deshalb seinem Rivalen den Verstand verwirrt, um sich für verschmähte Liebe zu rächen. Narcisse würde sich ganz normal verhalten, hätte sich Apollo nicht eingemischt. Cynire rät Écho, ein standhaftes Herz zu beweisen und ihre verbliebenen Seelenkräfte nicht in Trübsal zu verwandeln. Er wird versuchen, den verblendeten Freund zu bekehren, damit er zu ihr zurückfindet. Schließlich habe sie Amor auf ihrer Seite.

2. Akt:

Eglé stellt fest, dass es auch der Freundschaft Cynires nicht gelungen ist, Narcisse zu bewegen, sich Écho zu nähern und sein Herz von Liebe sprechen zu lassen. Ist ihm nicht klar, dass ein einziger Blick des geliebten Menschen sie wieder mit Leben füllen würde?

Cynire bedauert, aber er konnte den Freund nicht finden. Er ist von seinem Verlangen nach seinem Ebenbild so berauscht, dass er sich vor aller Augen verbirgt. Er soll es doch noch einmal versuchen, den Wald mit seinem Ruf erfüllen und Narcisse Échos Tod vorgaukeln. Inzwischen will Eglé versuchen, das Herz der Freundin mit neuer Hoffnung zu erfüllen. Amor soll der Stimme seines Herzens Zauber und Kraft geben, damit es die Sperre zu Narcisse durchdringt.

Die verstörte Écho erscheint. Die Mädchen haben ihr ein Blumengebinde gegeben und sie vor die Quelle gesetzt, dem Standbild Amors direkt gegenüber. Die liebste Écho wird aufgefordert, auch ein wenig mitfühlend zu den Freundinnen zu sein, denn sie können nichts dafür, wenn Narcisse abgelenkt und sie durch seine Liebe verraten wurde. Thanaϊs sagt, wenn Écho ihr Leben beendet, bleibt ihnen auch nur der Tod.

Écho bestätigt den Freundinnen und Gefährtinnen, dass ihr Flehen sie rührt. Sie kann dem Tod nicht mehr entsagen, denn sie fühlt ihn nahen und dann werden ihre Leiden ein Ende finden. Das Gift durchströmt bereits ihre Adern. Es ist soweit! Das Licht entschwindet vor ihren Augen und die letzte Stunde haben ihr die Götter verkündet. Deren Spruch ist unwiderruflich! Écho legt Kränze vor dem Altar Amors nieder. Die treuen Gefährtinnen sollen sie in ihrer Todesstunde nicht allein lassen.

„O furchtbares Schicksal, ihr unbarmherzigen Götter!“

Von Nymphen begleitet, tritt Écho in den heiligen Tempel Amors ein. Sie erklärt dem Liebesgott schlicht und einfach, dass sie ihm ursprünglich ihr Leben bestimmt habe - nun weihe sie ihm ihren Tod.

Cynire ist noch nicht zurück. Aber der untreue Narcisse kommt selbst. Eglé fordert den Undankbaren auf, er soll Écho aus den Reich der Schatten retten - der Barbar soll zu ihr gehen und zuvor seine verbrecherische Liebe ablegen. Doch Narcisse ist ebenfalls todesmüde und hält Zwiesprache mit seiner Nymphe aus der Quelle. Da sie ihr Reich vor ihm verschlossen halte, schließt er daraus, dass sie ihn ebenfalls sterben lassen will. Gern möchte er sich an ihr rächen, doch die Liebe hindere ihn daran. Cynire fordert ihn auf, gegen die Macht, die ihn ins Verderben stürzen will, anzukämpfen, und auf die Stimme des Mitleids zu hören. Narcisse fragt sich selbst, durch welche Macht er gebunden sei, denn er steht zweifelnd zwischen Liebe und Freundschaft.

Cynire macht die Sache dringend. Er soll schnell kommen, denn die Kälte des Todes greife bereits nach seiner Geliebten. Ihr Grab wird sich öffnen und sie verschlingen. Mit einem Blick soll er sie zu neuem Leben erwecken oder er wird es ewig bereuen, wenn er noch länger untätig bleibt. Ihre klagende Stimme wird in seinen Ohren klingen und ihm ihren Tod vorwerfen. Ihr Schatten wird des Nachts an allen Orten umherirren. Wohin wird er fliehen, wenn Gewissensbisse ihn plagen? In welcher Einöde wird er seine Tränen verbergen?

Narcisse fordert seinen Freund auf, sich über die Quelle zu beugen und mit ihm die herrliche Göttin zu schauen, damit er mit seinen abscheulichen Lästerungen aufhört. Cynire folgt seiner Weisung. Narcisse soll die Täuschung endlich erkennen, denn jetzt sieht er in der Quelle sein Spiegelbild zusammen mit demjenigen des Freundes. Das ist der doppelte Beweis: Seine Person selbst ist die Ursache seiner rätselhaften Liebe. Narcisse rutscht in einen Zweispalt der Gefühle. Jetzt weiß er nicht mehr, was er hasst und was er liebt.

Cynire sieht, wie das Herz des Freundes sich wandelt und Erkenntnis sich anbahnt. Er findet zu sich selbst und wird zu seiner einstigen Liebe zurückkehren. Apollo lässt es aus seinem Tempel donnern, damit auch die Elemente der neu erwachten Liebe in Narcisse ihre Aufmerksamkeit bezeugen. Die Tempeltüren öffnen sich und man sieht die sterbende Écho und die weinenden Gefährtinnen.

Narcisse ist aufgewacht! Die Götter sollen ihm beistehen, denn er will zu Échos Grab fliehen, um dort mir ihr eingeschlossen zu werden. Eine andere Lösung, um die er die Götter sonst noch bitten könnte, fällt dem Liebenden nicht ein.

3. Akt:

Aglaé und die Nymphen haben mitbekommen, dass die im Tempel eingeschlossene Écho im Sterben liegt. Alle sind neugierig, von welcher Seite Échos Stimme in Zukunft kommen wird, wenn sie in die Wolken aufgefahren ist. Und wenn sie gar nicht mehr zu hören sein sollte, wird dem Chor erst so recht bewusst, was ihnen ihr Tod bedeutet. Aglaé fordert die Nymphen auf, ihren Tod zu beweinen. Von Schuld und Reue erfüllt, bittet Narcisse sich der Trauerklage anschließen zu dürfen. Doch dann befürchtet er, die Trauer der anderen zu stören, entschließt sich allein zu sein und schickt auch Cynire fort. Doch dieser will den Freund nicht verlassen, weil er sieht, wie er von Schmerz überwältigt wird. In der Tat zerfließt Narcisse vor Reue und fleht Écho an, Mitleid mit ihm zu haben, denn die Götter der Unterwelt beginnen bereits ihn zu quälen.

Doch plötzlich hört er ihre Stimme. Ist es wirklich Écho, welche von jenseits des Styx nach ihm ruft? Noch im Jenseits liebt sie ihn und er soll hier weiterleben? Die Verzweiflung wird ihn an die Tore der Unterwelt treiben und Narcisse beschließt seinen Suizid, um mit ihr wieder vereint zu sein.

Doch Apollo lässt es nicht zu. Es öffnet sich der Tempel und das Leben wird Écho wiedergegeben. Zahlreiche Amoretten umkreisen sie. Der unglücklich Liebende soll innehalten, befiehlt Amor, den mit Écho gibt er ihm Glück und Leben zurück.

Welche Wonne fällt auf Narcisses Todesschmerz? Kann Écho ihm seine Missetat verzeihen? Écho antwortet erwartungsgemäß: Wenn sie ihren Geliebten sieht und ihr Herz vor Glückseligkeit zerspringen will, was vermag sie anderes zu fühlen als eine irrsinnige Freude?

Damit wäre die Zukunft geregelt. Für Amor bleibt jetzt nichts mehr zu tun, denn das neue Glück ist gestiftet.


Letzte Änderung am 3.11.2012
Beitrag von Engelbert Hellen