Reinhard Keiser (1674-1739):

Die großmütige Tomyris

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1717
Uraufführung: 1717 in der Hansestadt Hamburg (Theater am Gänsemarkt)
Bemerkung: Das Libretto in deutscher Sprache enthält sparsam eingestreute italienische Gesangsnummern, was man als eine Huldigung an den italienischen Stil verstehen kann.

Zur Oper

Art: Oper in drei Akten
Libretto: Johann Joachim Hoë
Sprache: deutsch
Ort: Nordiran
Zeit: 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung

Personen der Handlung

Tomyris: Verwitwete Königin der Massageten
Meroë: Tochter des toten Perserkönigs Cyrus
Tigranes: Vermeintlicher Prinz von Armenien
Policares: König von Lydien
Doraspe: König von Damaskus
Latyrus: Vertrauter der Meroë
Orontes: General der Massageten

Handlung

1. Akt:

Das Volk der Massageten jubelt ihrer siegreichen Königin Tomyris zu. Vor dem Tempel des Mars feiert man den Jahrestag, an dem der Perserkönig Cyrus II. besiegt wurde und huldigt dem Kriegsgott mit einem Rauchopfer. Die Königin legt das Schwert, mit welchem der Kopf des Despoten von seinem Rumpf getrennt wurde, vor der Siegessäule nieder. Der Schrecken aller Völker und Anstifter ruchloser Taten, der auch den Sohn der Königin auf dem Gewissen hat, lebt nicht mehr, und die frohen Tage von einst haben sich wieder eingestellt. Lange lebe die Königin!

Das Opfer hat die Götter vergnügt und das Jauchzen der Massen hat ihnen gefallen. Nun sei es an der Zeit, meint jedenfalls Policares, seines Ranges König von Lydien, von Liebe und Treue zu sprechen. Tomyris leugnet nicht, ihm Herz und Krone versprochen zu haben, wenn man gemeinsam den stolzen Feind besiegen würde - aber warum so hastig? Es gibt noch andere Bewerber. Will sie etwa ein so heiliges Versprechen an einem solchen teuren Tag wie heute brechen? Wie lange soll Policares noch leiden? Die Umworbene soll bitte kein Missverständnis aufkommen lassen. Ihr geliebter Mund hat versprochen, sich mit ihm zu vermählen, und ihm hat das Glück die Schönste zuerkannt.

Doraspe der König von Damaskus ist auch zur Siegesfeier eingeladen und macht sich ebenfalls Hoffnungen auf den Thron der Massageten. Tomyris möchte sich jetzt nicht entscheiden und bittet beide Verehrer um Aufschub. Es gibt nämlich noch einen Dritten, von dem niemand etwas weiß, und diesem hat die Königin ihr Herz geschenkt. Es ist ihr tapferer General Tigranes. Die beiden anderen wird sie mit leerer Hoffnung kränken müssen.

Tigranes, der Feldherr der Königin, nähert sich den beiden Rivalen, welche sogleich merken, dass er die Macht hat, die Monarchin zu beeinflussen. Als Erfolgsprämie bietet jeder der beiden Könige ihm
Freundschaft und die Schwester zur Frau an, wenn es ihm gelänge, das Herz der Königin in die gewünschte Richtung zu dirigieren. Allgemein findet man die Idee gut und man schließt Brüderschaft miteinander.

Die Gedanken Tigranes weilen jedoch bei der geliebten Meroë, der Tochter des König Cyrus, die er für tot hält. Doch diese taucht plötzlich auf. Natürlich hat sie sich verkleidet und befindet sich in Begleitung. In Feindes Land möchte man als Tochter des toten Königs, dessen Haupt man auf einen Pfahl gesteckt hat, nicht sogleich erkannt werden. Hat die Tochter des Cyrus etwa finstere Pläne?

Was müssen das für seltene Fremde sein, welch schmerzensvolle Pein zeigen sie durch ihre kläglichen Gebärden. Woher kommen die beiden Weisen? Unter unsäglichen Beschwerden, bereits zum Tode verurteilt, haben sie die Flucht angetreten, nachdem dem Volke kundgetan wurde, dass Cyrus II. um Kopf und Leben gekommen ist.

Und was ist aus der schönen Meroë geworden? Manch treues Ach und Weh wird der Armseligen noch nachgeschickt. Als ihr Liebster sie verließ, hat die Edle ihrem Leben durch einen Gifttrunk ein vorzeitiges Ende gesetzt. Mit größter Treue hat sie ihn geliebt. Ihr Tod betrübt Tigranes mitleidvolles Herz, war er ihr doch einst in Liebe verbunden. Doch die beiden Ankömmlinge wissen Rat. Wenn er sie noch einmal sehen und sprechen will, macht Zauberkunst es möglich. Zum Zeichen seiner Beflissenheit will der Dankbare sie sogleich zur Königin führen. So schnell am Ziel? Das tödliche Messer wird der Mörderin des Vaters den Garaus machen. Im Vorbeigehen sieht Meroë noch einmal das Haupt ihres geliebten Vaters auf der Stange, eingebettet in die üppige Dekoration zur Siegesfeier, und beschäftigt sich im Geist mit fürchterlicher Rache, welche die Kindespflicht ihr befiehlt.

Tomyris hatte sich eigentlich auf eine Auseinandersetzung mit den beiden werbenden Königen vorbereitet, als Tigranes nun die zwei armenischen Astrologen vorstellt. Ihre Weissagung hatte der gestürzte Machthaber nicht beachtet und als Konsequenz Reich und Leben verloren. Sie werden Asyl erhalten, sollen aber vorher eine Probe ihres Könnens abgeben. Die Herrscherin will von der verkleideten Meroë wissen, welcher der beiden werbenden Könige bei ihr sein Glück machen wird. Die Sterne zeigen an, dass keiner der beiden ihr Gemahl werden wird, denn die Gegenliebe scheint zu fehlen. Ein fremder Prinz wird es sein. Wie soll er heißen? Die Neugierige fühlt auf den Zahn: Er heißt Ti... Die Königin ist betroffen und gebietet den beiden, zu schweigen. Die Planeten lasse man in Ruhe walten; zu sehr haben sich die beiden Schlaumeier sich in ihre Kunst verrannt und bilden sich ein, die Geheimnisse des Universums lüften zu können! Insgeheim fühlt die liebende Königin sich jedoch ertappt und befindet sich nun in Verlegenheit, ihre Gefühle vor ihrem Untertan verbergen zu müssen. Noch soll er nichts von ihren geheimsten Herzensregungen wissen. Die Audienz erklärt sie für beendet, freut sich aber insgeheim, dass die Sterne mit ihr gleicher Meinung sind. Ihres Herzens Triebe haben sie ihr kundgetan.

Die beiden Könige Policares und Doraspe drängeln und wollen, dass die Königin sich zwischen ihnen entscheidet. Man nimmt Platz und Tigranes darf sich dazusetzen, was den beiden Gesalbten nicht recht ist. Sie mäkeln, dass es einem angemaßten Prinzen, den ein Seeräuber dem König von Armenien zum Geschenk gemacht hat, an Rang und Würde fehlt. Dieser erklärt, dass der Befehl der Königin ihn zum Gehorsam zwinge, möchte insgeheim aber am liebsten sein Schwert zücken, um es auf den Häuptern der Prahler so richtig blitzen zu lassen. Die Königin reicht ihrem Feldherrn einen kostbaren Stein, mit dem es eine Bewandtnis hat. Als Schiedsrichter soll der armenische Prinz entscheiden, wer sich mit der Königin vermählen darf und dem Glücklichen den Stein geben. In ihrer Eigenschaft als Königin findet Tomyris es unter ihrer Würde, sich selbst in dieser Sache auseinander zu setzen. Wem wird Tigranes den Stein nun geben? "Wer mit der Waffe zu kämpfen versteht und aus Liebe sein Leben für die Königin aufs Spiel setzt" wird der Glückliche sein, erklärt Tigranes.

Szenenwechsel:

Die beiden Weisen aus Armenien haben sich einen Spuk ausgedacht und einen geheimen Platz im Walde festgelegt, an dem Meroë durch Zauberspuk erscheinen wird. Naturgemäß befindet sie sich in der Unterwelt und Prosperina muss erweicht werden, damit die Cyrus-Tochter für ein Rendezvous ein Viertelstündchen Urlaub erhält.

Der leichtgläubige Tigranes muss einiges an Hokuspokus über sich ergehen lassen, bevor der Schatten - es ist die verschleierte Meroë - von Flammenzauber umzüngelt aus einer Höhle hervortritt, um sich
sogleich nach Gefolgschaft und Treue des Geliebten zu erkundigen.

Es dauert noch ein Weilchen, bis der Getäuschte begriffen hat, dass die Geliebte kein flatterndes Gespenst ist, sondern leibhaftig vor ihm steht. Das Gerücht über ihren Tod hatte sie nur ausgestreut, um als Racheengel besser wirksam werden zu können. Nachdem das erste Entzücken über den Wiedergefundenen verebbt ist, hat die Geliebte sogleich ein dringendes Anliegen. Mit Lust will sie das Blut der Königin vergießen und Tigranes, der ihr seine Liebe erneut bestätigt hat, soll ihr dabei assistieren. Der Überrumpelte befindet sich im Gedränge zwischen der Treue zur Königin und den zärtlichen Gefühlen für die plötzlich wiedergewonnene Geliebte. Jetzt helfen nur noch Ränke.

2. Akt:

Die Jahresfeier setzt sich als Bacchanal fort. Auf einem Gabentisch türmen sich, dekorativ arrangiert, die im Krieg von den Persern geklauten Schätze. Man feiert! Die Königin der Massageten tanzt mit einem fremden Prinzen, damit die werbenden Könige nicht eifersüchtig werden. Die Entscheidung bezüglich Kampf auf Leben und Tod um die Gunst der Monarchin wird rückgängig gemacht, weil Tomyris plötzlich ihr Ehebett nicht mit Blut besudelt sehen will. Insgeheim fürchtet sie aber, das ihr Herzblatt bei den Festspielen zu Schaden kommen könnte.

Meroë hat sich in das Vertrauen der Königin eingeschlichen und horcht sie aus. Die verliebte Königin hat die arglistige Cyrus-Tochter zur Liebesbotin auserkoren. Letztere hatte ihr weisgemacht, durch ihre Zauberkünste habe sie erfahren, dass ihr Feldherr eine andere liebt. Das Liebesbekenntnis duldet nun keinen Aufschub mehr. Die Eingeengte schickt Meroë los, damit sie ihm in ihrer Eigenschaft als Magierin das Herz der Königin anträgt; Thron und Ländereien gibt es gratis dazu. Sie selbst kann das Geständnis ihrer Liebe nicht über die Lippen bringen; man will sich als Königin im Falle einer Abfuhr nicht blamieren oder gar mit Schande beschmutzen.

Die Königin schläft nicht gut und träumt von Furien. Die rachsüchtige Meroë ist ins Schlafgemach eingedrungen und steht mit gezücktem Dolch vor der Schlafenden. Still, dass sie nicht erwache, damit sie den Stoß vollführen kann. Hierzu kommt es jedoch nicht. Tigranes und Orontes sind der Rächerin ins Schlafzimmer der Königin nachgeschlichen, die nun erwacht und Aufklärung wünscht. Tigranes will sich nicht erklären, weil er das Leben seiner Geliebten schützen möchte, die wiederum das Opfer des Geliebten nicht annehmen möchte, und er gerät nun selbst in Verdacht. Zunächst wird Tigranes in Haft genommen und Meroë brütet über neue Pläne, entweder den Geliebten zu befreien oder selbst aus dem Leben zu scheiden.

3. Akt:

Ein unheilvoller Brief, den Tigranes an den gegnerischen persischen General geschickt hat, ist abgefangen worden und wird in der provisorischen Gerichtsverhandlung gegen ihn verwandt. Obwohl er ein reines Gewissen hat und dies auch beteuert, verfolgt ihn das Pech einer missglückten Intrige. Tomyris ahnt, dass irgend etwas nicht stimmt. Meroë, welche mit sich selbst beratschlagt, die Schuld auf sich zu nehmen, verhält sich äußerst merkwürdig und ihres Feldherrn Verstocktheit kommt ihr rätselhaft vor.

"Ach, Tomyris Zorn ist zwar gerecht zu nennen, doch sollte er alles frei bekennen, würde sie gestehen, dass zu viel ihm ist geschehen. Soll Seine Ehre, Lieb’ und Treue leben, muss er großmütig zu sterben streben." So legt sich der Todgeweihte seine Situation zurecht.

Nein, nein, Tigranes soll nicht sterben. Als die einzig Schuldige will Meroë ihre böse Tat selbst entdecken. Aber sie hat einen Eid geschworen, den toten Vater zu rächen, wirft ihr Vertrauter, Latyrus ein. Will sie ihren Racheplan etwa aufgeben? Es klagt des Vaters Asche! Der Himmel lässt keinen Beistand spüren. Wenn der Feindin Herz der Todesstreich nicht treffen soll, kann sie es auch nicht ändern, rechtfertigt sich die wankelmütige Tochter.

Tigranes wird an eine Säule gebunden, aber die Königin behält sich vor, dass erst dann die tödlichen Pfeile abgeschossen werden sollen, wenn sie mit ausgestreckten Armen das Signal gibt. Meroë erscheint gemäß dem Wunsch des Librettisten in gewöhnlicher Frauenzimmerkleidung und versucht, die Soldaten wegzuschubsen. Als Tochter des toten Perserkönigs gibt sie sich zu erkennen. Die Königin glaubt ihr Geständnis und lässt den Verurteilten sofort losbinden.

Dann geht alles sehr schnell. Es taucht noch ein merkwürdiger Brief auf, der Tigranes als Sohn der Königin legitimiert. An seinem rechten Arm hat er ein Mal, der den Briefinhalt bestätigt. Die Königin schließt ihren Sohn in die Arme und wird den freundlichen Briefträger Doraspe heiraten. Endlich hat das Tauziehen der beiden Könige ein Ende und die Herrscherin der Massageten kann ihr Herrschaftsgebiet um Damaskus erweitern. Ein vernünftiger Entschluss.

Tigranes bekommt auf Wunsch der Königin seine geliebte Meroë zur Frau, die ihre Mordgelüste allerdings aufgeben muss, damit die Königin der zukünftigen Schwiegertochter verzeihen kann. Diese edle Tat benutzt Reinhard Keiser um „Die Großmütige Tomyris“ als Titel seiner Oper in die Musikgeschichte eingehen zu lassen.


Letzte Änderung am 3.11.2005
Beitrag von Engelbert Hellen