Claudio Monteverdi (1567-1643):

L'incoronazione di Poppea

deutsch Die Krönung der Poppea / englisch The Coronation of Poppea / französisch Le Couronnement de Poppée

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1642
Uraufführung: 1642 in Venedig (Teatro Grimano)
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Verlag: London: Novello, 1989
Bemerkung: Claudio Monteverdi war bereits 75 Jahre alt, als er sein Meisterwerk „Die Krönung der Poppea“ schuf. Es hat die Dimension eines Schauspiels, welches den Dramen Shakespeares gleichzusetzen ist, und behauptet den Status, die erste Oper der Musikgeschichte zu sein, die einen historischen Stoff bevorzugt und diesen logisch interpretiert. Der Report des römischen Geschichtsschreibers Tacitus wird durch das meisterhafte Libretto Giovanni Francesco Busenellos steil emporgehoben. Frei von barockem Schwulst ist der Handlungsfaden sorgfältig durchdacht und dramaturgisch folgerichtig ins Bild gesetzt. Die Texte setzen auf vernünftige Dialoge, sind hochpoetisch und in der Aussage unkomplizert und leicht zugänglich. Der feinsinnige Humor reicht bis zur Satire und folgt den Charakteren der Handlungsträger bis in die feinsten Nuancierungen. Die ehrgeizigen Poppea hat an ihrer Seite einen verliebten, aber machtbewussten Nerone. Seneca jongliert mit traditionellen Werten und bereitet sich damit seinen Untergang, weil er zur Kaiserin Ottavia hält, die - von Poppea verdrängt - in Ungnade gefallen ist. Ottone bejammert sein Schicksal als verschmähter Liebhaber, bekommt aber durch Drusilla liebevollen Zuspruch. Die unterschiedlichen Erwartungshaltungen und Leidenschaften der Akteure werden kunstvoll ineinander verwoben, zu der Monteverdis liebevoll ausgewalzte Musik das Ohr des Zuhörers liebkost. Dank der Ponelle-Inszenierung an der Oper Zürich Ende der 1970er Jahre stößt die Oper nach dreihundertjährigem Dornröschenschlaf auf breites Interesse und genießt außerordentliche Beliebtheit.
Opus: SV 308

Kaufempfehlung

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[Details]
L'incoronazione di Poppea (Warner, ADD, 1973/74)
Claudio Monteverdi (1567-1643)

"Deutscher Schallplattenpreis","Premio della CriticaItaliana","Grand Prix du Disque"Hermes Opernlexikon: "Mit der ihm eigenenÜberzeugungskraft versucht Harnoncourt,ein historisches (wenn auch nur fiktives)Klangbild mit den Mitteln heutiger Musik-ausübung zu erzielen. ...Eine interessanteAufnahme."

Zur Oper

Art: Oper in drei Akten mit einem Prolog
Libretto: Giovanni Francesco Busenello nach dem XIV. Buch der Annalen des Tacitus
Sprache: italienisch
Ort: Rom
Zeit: 2. Hälfte des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung

Personen der Handlung

Nerone: römischer Kaiser (Mezzosopran)
Poppea: seine Geliebte (Sopran)
Ottavia: amtierende Kaiserin (Mezzosopran)
Ottone: abgelegter Ehemann Poppeas (Alt)
Seneca: Philosoph und ehemaliger Tutor Nerones (Bass)
Drusilla: in Ottone verliebt (Sopran)
Arnalta: Vertraute Poppeas (Tenor)
Lucano: Dichter und Freund Nerones (Tenor)
Damigella: im Dienste Ottavias (Sopran)
Liberto: Hauptmann der Wache
Weitere: La Fortuna (Allegorie des Glücks), La Virtù, Allegorie der Tugend), Amore (Liebesgott), Familie und Schüler Senecas, Soldaten und weitere

Handlung

Prolog:

Der Zugang zu einer Barockoper wird dem Publikum erleichtert, wenn es von den handelnden Akteuren nicht sogleich überfallen wird. Die Allegorien von Zuständen und Eigenschaften bieten ein bisschen Vorgeplänkel, welches mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun hat und austauschbar ist. Auf den Liebesgott Amor kann in der Regel kaum eine Oper der Gründerzeit verzichten. Bevor „Die Krönung der Poppea“ in Sicht ist, beschimpfen sich Glück und Tugend auf das Heftigste, weil jede der beiden Göttinnen glaubt, der Vorrang vor der anderen gebühre ihr.

Die Tugend soll sich verstecken, weil ihr die Einbildung, göttlich zu sein, niemand mehr abkauft. Ihre Tempel seien verfallen, außerdem laufe sie nachlässig gekleidet herum und habe ihren Glanz auf diese Weise verkommen lassen. Einst eine Königin, sei sie nun ein Bettelweib, und wer ihr vertraue, könne nicht damit rechnen, jemals zu Reichtum oder auch nur Wohlstand zu erlangen. Sie solle sich schämen, weil sie es nicht verstünde, sich optisch ein bisschen zurecht zu machen. Die Menschen würden sich vor ihr abwenden, weil ihr Ansehnlichkeit und Leuchtkraft fehle!

Die Tugend lässt sich solche Schmähung nicht gefallen und führt an, dass man der unzerstörbaren Essenz ihres Wesens die Gottgleichheit nicht absprechen könne. Auch wenn ihr der äußere Glanz fehle, sei ihre Zuverlässigkeit begehrt, denn sie biete Zufriedenheit, eine Eigenschaft, die der wankelmütigen Rivalin absolut abgehe. Unzuverlässig sei sie und ein Hirngespinst, nur die Oberflächlichen und Leichtsinnigen würden ihr nachlaufen.

Amor findet die Auseinandersetzung ebenso unerträglich wie überflüssig und mischt sich in den unwürdigen Dialog der beiden ein. Er erklärt, die Weltherrschaft gehöre einzig ihm und er halte es unter seiner Würde, seinen Anspruch zu begründen. Die Menschen würden es gar nicht nötig haben, zwischen Glück und Tugend zu wählen, denn beide Eigenschaften besitze er in reichem Maße. Automatisch wenden die Götter und Menschen sich deshalb ihm zu, ohne dass er Propaganda machen müsse. Er schickt seine Pfeile ins Ziel und was dem einen schadet, nutzt dem anderen. Seine Launen unterwerfen die Welt, und ihm haben die Tugend und das Glück zu gehorchen. Die beiden streitenden Damen gehen ob solch kühner Rede die Argumente aus und müssen einräumen, dass der zynische Knirps ihr König ist. Nun kann die Handlung der Oper beginnen, denn das Publikum ist aufmerksam geworden.

1. Akt:

1. Szene

Wir wollen Ottones Ergüsse nicht als schmalzig bewerten, sondern berücksichtigen, dass man es zu vergangenen Zeiten besser verstand, das Herz auf die Zunge zu legen. Poesie kann auch heute noch entzücken, wenn man ein Gespür dafür hat. Der Librettist Francesco Busenello hat ein dichterisches Meisterwerk geschaffen, nach dessen Stil die Komponisten der Romantik vergeblich ihre Sehnsucht ausrichteten. Erklärt sei zunächst, dass Ottone der abgelegte Ehemann Poppeas ist, der aber von seiner Begierde nicht lassen kann und sich unter dem Fenster ihres Schlafzimmers einfindet. Im Bett der Ehrgeizigen liegt der übermächtige Rivale - es ist der Kaiser selbst - dem Poppea mit weitreichender Überlegung ihre Gunst gewährt. Ottone ist dem Kaiser viel zu unwichtig, als dass er ihn zur Kenntnis nehmen könnte. Der Verstoßene leidet unter seiner verschmähten Liebe wie ein Tier:

„Und so komme ich wieder wie die Linie zur Mitte,
wie das Feuer zur Sonne und wie der Bach zum Meer,
und wenn auch nicht das geringste Licht zu sehen ist,
ach, ich weiß doch gut, dass meine Sonne drinnen ist.“

Zu dem lieben Haus, dem Hort seines Lebens und seiner Geliebten, eilt er, damit sein Herz es grüßen kann. Poppea soll doch bitte ein Fenster öffnen, damit er ihr schönes Gesicht sehe, um darin lesen zu können, wie seine Aktien stehen. Die Angebetete soll sich zeigen und mit dem Hochklappen ihrer Augenlider die Nebel und Schatten der Nacht zerstreuen. In ihrer Treulosigkeit hat Poppea ihre Schwüre bedauerlicherweise vergessen, obwohl der liebe Ottone immer noch der gleiche ist. An ihrem schönen Busen schlummert jetzt ein anderer Genießer. Zwei Prätorianer bewachen vor dem Eingang seine Sicherheit, damit beide sich ungestört amüsieren können. Der Himmel wandte sich zu seinem Unglück und vernichtete seine Ernte. Ottone zerfließt vor Schmerz und Selbstmitleid.

2. Szene

Die beiden Prätorianer, welche die ganze Nacht Wache schieben mussten, sind ebenfalls missmutig. Verbal mischen sie sich in Angelegenheiten, die sie nichts angehen. Die Kaiserin Ottavia sei zu bedauern, weil Nerone sie mit Poppea betrüge. Armenien erhebt sich und Pannonien greife zu den Waffen, ohne dass der Kaiser Maßnahmen ergreift. Die Armen raubt Nerone aus, um die Reichen zu beschenken. Unschuldige werden verfolgt und die Ganoven bereichern sich. Ist Seneca nun ein schlauer Fuchs oder ein alter Räuber, der sich die Taschen füllt und seine Freunde hintergeht? Dieser bösartige Architekt hat sein Haus auf den Gräbern der anderen gebaut. Der erste Soldat mahnt, dass der andere nicht weiter erzählen soll, was sie besprechen, denn ein Auge traut dem anderen nicht, obwohl beide in die gleiche Richtung schauen.

3. Szene

Nerone sieht seine Bettruhe als beendet an und bittet Poppea, ihn nun gehen zu lassen. Es muss nicht sein, Rom zu informieren, dass sie zusammen waren, denn ihr guter Ruf soll seinetwegen nicht leiden. Noch hat er Ottavia nicht verstoßen! Ein Seufzer entringt sich seiner Brust, noch ein Kuss und schon bald werden sie sich wieder treffen. Poppea denkt logisch: Wenn er immerzu behaupte, dass sie in seinem Herzen eingeschlossen sei, können seine Augen sie doch gar nicht sehen. Sie hat nichts dagegen, wenn er gehen will, aber der Klang seiner Worte klingt bitter. Poppea soll nichts fürchten. Nur Sie sei seine Göttin und im Geiste sei er ständig bei ihr. Angeblich erträgt er es nicht, wenn er von ihr getrennt ist, und so wie eine Einheit nicht geteilt werden kann, gehört er zu ihr. Nerone muss versprechen, bald wiederzukommen.

4. Szene

Hoffnung umschmeichelt Poppea, weil ein wohlmeinendes Schicksal ihr den Königsmantel umlegen wird. Widerwärtigkeiten durch Ottavia fürchtet sie nicht, weil Amor und Fortuna für sie kämpfen werden. Arnalta, ihre Vertraute und vormals ihre Amme, traut der Zuversicht ihrer Herrin nicht. Der Himmel möge es einrichten, dass die Umarmungen des Kaisers nicht eines Tages ihr Ruin sein werden. Die Kaiserin Ottavia habe Nerones Liebschaften längst durchschaut und sie ist voller Angst, dass jede Stunde ihre letzte sein könnte. Könige unterliegen nicht den Gefühlen von Liebe und Hass, sondern lassen sich nur von ihrer Berechnung leiten. Sie soll in Nerone keine tieferen Gefühle investieren, damit sie nicht klagen muss, wenn er sich abwendet. Die Großen dieser Welt füllen das Haus mit Stürmen der Leidenschaft und lassen von der Ehre einer aufopfernden Frau nur Staub zurück. Den Kaiser zu bewegen, sie zu heiraten, sei das gleiche, als wenn sie ihn um ihren Untergang bitten würde. Die Liebende soll die Augen offen halten, denn dort, wo die Welt am schönsten und angenehmsten sei, verberge sich auch die Schlange. Poppea sei verrückt, wenn sie glaubt, durch den blinden Knaben, der sich Amor nennt, glücklich gemacht zu werden.

5. Szene

Der ausgiebige Monolog Ottavias behandelt die Stellung der Frau in der Gesellschaft im Spiegelbild ihrer persönlichen Katastrophe. Die geschmähte Gemahlin des römischen Imperators weiß nicht mehr, was sie tut, was sie darstellt und was sie denken soll! Das erbarmungswürdige Geschlecht der Frauen wird durch die Ehe sklavisch gefesselt, selbst wenn die Natur und der Himmel sie als freie Wesen erschaffen haben. Der verfluchte Nerone, ach Gott, er ist ihr Gemahl, tändelt vergnügt an der Seite Poppeas, obwohl die zahlreichen Tränen aus ihren Augen ein Spiegelbild ihrer Qual sind, die er nicht wahrnehmen will. Hat Jupiter keinen Blitz mehr, um den Unhold zu bestrafen? Vielleicht ist es besser, die Pein schweigend zu ertragen, als den Himmel herauszufordern, der ihre Aufforderung als Blasphemie auslegen könnte. Ihr Mund hat gesündigt, doch ihr Innerstes ist rein. Unschuldig ist das Herz, es sündigte allein die Zunge!

Die Amme - Arnalta ist es nicht - rät, Nerones Untaten mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Wenn ihrem kaiserlichen Gemahl sein Unrecht so viel Spaß macht, soll sie sich doch einen Mann suchen, der ihrer würdig ist, damit sie auch etwas Freude in ihr Leben bringt und - vor allem - Rache nehmen kann. Solche gemeinen Argumente hat Ottavia von ihrer Amme noch nie gehört. Die Fürsorgliche soll begreifen, dass die Frau, deren Ehre beleidigt ist, durch die ehebrecherischen Leidenschaften ihres Gatten zwar geschmäht, aber nicht entehrt wird. Doch andererseits sei der Gatte entehrt, wenn das Ehebett durch ihn entweiht wird. Die Vorschläge der Besserwisserin gehen ins Leere. Ottavia entschließt sich, ihren Kummer lieber zu ertragen, als den Gemahl zu reizen.

6. bis 8. Szene

Eine andere Beleuchtung ihrer Situation erfährt Ottavia nun durch den Philosophen Seneca, der unerwartet zu Besuch erscheint. Die ruhmreiche Kaiserin eines Weltreichs sei auf den Thron der Cäsaren erhoben worden, um Sklaverei zu erdulden, hetzt er. Tränen seien ihrer kaiserlichen Augen unwürdig, aber nicht zu übersehen. Sie solle dem Schicksal danken, dass es mit seinen Schlägen ihren Ruhm vergrößert, denn ein Stein kann nur Funken hervorbringen, wenn er geschlagen wird. Vom Schicksal sei Ottavia bestimmt, die hohen Tugenden von Kraft und Seelenstärke hervorzubringen, deren Ruhm noch größer sei als ihre außerordentliche Schönheit. Doch diese vergeht im Laufe der Zeit, während Tugend so stark ist, dass sie dem Geschick trotzen kann, denn sie kennt keinen Verfall. Zum Blödeln ist Ottavia jetzt nicht aufgelegt. Seneca versuche, Gift in Balsam zu verwandeln und Qualen in Ruhm zu tauchen. Seneca möge ihr vergeben, aber seine geschliffenen Nichtigkeiten seien künstliche Gedankengänge, die als Heilmittel für die Unglücklichen unbrauchbar seien.

Ein vorlauter Höfling, der seinen Ärger über den schlauen Philosophen und Religionsschwindler nicht zurückhalten kann, unterstellt ihm, seine Lehren derart verwirrend zu formulieren, dass er zum Schluss selbst nicht mehr wisse, was er gesagt habe. Es sei seine Art, aus der Unwissenheit anderer Gewinn zu ziehen und er betrachte Jupiter als Komplizen. Der Empörte fordert den Klugschwätzer auf, der Kaiserin vernünftige Ratschläge zu geben, andernfalls werde er unter seinem Bart oder unter seinen Büchern ein Feuer anzünden.

Seneca lässt sich nicht beirren und schöpft weiterhin aus dem Vorrat seiner Weisheit. Der kaiserliche und königliche Purpur sei aus spitzen Dornen und Versuchungen gewebt, unglücklichen Fürsten sei er ein dauerndes Martyrium. Die hohe Krone vergrößert nur den Schmerz. Von der königlichen Größe sieht man nur den Glanz und die Herrlichkeit, die Schmerzen bleiben immer unsichtbar. Seneca schwadroniert einfach los, ohne sich zu vergewissern, ob seine Phrasen der vorliegenden Situation angepasst sind und derjenige, an den sie gerichtet sind, damit etwas anfangen kann. Nerone wird ihm die Quittung geben. Seneca wird frech, Pallas Athene persönlich hatte ihn gewarnt: „Der Tod soll ruhig kommen, fest und stark will ich alles Unheil und die Furcht besiegen. Nach den düsteren Tagen erglänzt der Tod als ewiger Tag!“

9. Szene

Nerone hat Seneca zu sich beordert und möchte seinen Kommentar vernehmen:

„Son risoluto insomma
o Seneca, o maestro,
di rimuovere Ottavia
da posto di consorte
e di sposar Poppea“

Er sei entschlossen, Ottavia als seine Gattin von ihrem Platz zu entfernen, um Poppea zu heiraten. Seneca ist dagegen, ergreift die Partei Ottavias (von Poppea hat er nichts zu erwarten) und versucht, ihm die Idee auszureden. Es entspinnt sich folgender Dialog: Am Grunde großer Süße läge oft Reue. Das Gefühl sei ein schlechter Ratgeber - es hasse die Gesetze und verachte die Vernunft. Das Gesetz sei für den Diener, erwidert Nerone, und wenn er will, kann er das alte abschaffen und ein neues einsetzen. Die Herrschaft sei geteilt: Jupiter gehöre der Himmel, aber auf Erden regiere er allein. Seneca hält dagegen: „Regellos zu wollen ist nicht wollen, sondern - mit deiner Erlaubnis - Willkür!“ Nerone hat die passende Entgegnung, dass die Vernunft ein strenges Maß sei, für diejenigen, die gehorchen, aber nicht für die, die herrschen. Das Gegenteil sei richtig, meint der andere, denn unverständige Befehle würden den Gehorsam zerstören. Sein Widerspruch nütze ihm nichts, Nerone mache es nach seiner Art. Nerone solle das Volk und den Senat nicht ärgern. Beide seien ihm egal. Dann soll der Kaiser wenigstens an sich und seinen Ruf denken. Nerone will dem die Zunge herausreißen, der sich heraus nimmt, ihn zu tadeln. Ottavia sei übrigens kalt und unfruchtbar. Wer keine Gründe hat, sucht nach Vorwänden. Dem Mächtigen fehlen keine Gründe. Dem ungerechten Werk fehle die Überzeugungskraft. Man sei stets gerechter, je mächtiger man ist. Aber wer nicht herrschen kann, ist stets weniger mächtig. Die Macht sei das Gesetzt im Frieden wie das Schwert im Kriege, sie bedarf keiner Vernunftgründe. Seneca lässt nicht locker, hat aber im Argumentieren in Nerone einen ebenbürtigen Gegner gefunden. Nun beginnt der Philosoph entsprechend seiner geistigen Veranlagung zu schwafeln: Die Macht entzünde den Hass und errege das Blut, die Vernunft regiere die Menschen und die Götter. Der Weisheit letzter Schluss: Seneca bringe ihn in Wut. Ihm, dem Volk, dem Senat wie auch Ottavia, nicht zu vergessen, Himmel und Hölle zum Trotz - noch heute wird Poppea seine Gattin. Seneca findet kein Ende. Wenn ein König nicht gerecht sein will, soll er sich wenigstens großartiger Verbrechen schuldig machen, Seneca könne nicht verstehen, dass eine kleine Frau die Macht habe soll, den Kaiser in Irrtümer zu verstricken. Was er im Sinne führe sei eine plebejische Untat.

„Levamiti dinnanzi,
maestro impertinente,
filosofo insolente.“

Nerone weist dem Unverschämten die Tür, aber das letzte Wort hat Seneca: Immer gewinne die falsche Seite, wenn Gewalt und Vernunft aufeinander prallen.

10. Szene

Poppea will von Nerone wissen, wie süß er in der vergangenen Nacht die Küsse aus ihrem Munde fand. Je süßer sie waren, um so mehr haben sie ihn verwundet. Poppea kommt auf ihre leidenschaftlichen Umarmungen zu sprechen und lässt die Äpfel ihrer Brüste nicht unerwähnt. Letztere würden schönere Namen verdienen, meint Nerone. Sein Schicksal würde nicht mehr vom Himmel bestimmt, schmeichelt er, sondern ihre rubinroten Lippen würden ihn anfeuern. Weshalb lässt sie ihren feurigen Geist unerwähnt? Ist er nicht wichtiger als alle äußeren Attribute? Sie genießt seine Worte, als ob es Küsse seien. In ihr Herz haben sie sich eingefräst. Nerone kommt nun zur Sache und das Opernpublikum hört aufmerksam zu:

„Diese herrliche Krone,
mit der ich über Menschen und Länder herrsche,
will ich mit dir teilen.
Ich werde erst dann glücklich sei,
wenn du den Titel der Kaiserin trägst.“

Sie erhebe ihr Herz in süßer Hoffnung, weil er es befiehlt. Aber es gäbe noch Hindernisse, die im Weg stünden und das Ziel seines königlichen Versprechens noch verbauen würden. Seneca, dieser gerissene Philosoph, versuche anderen immer einzureden, es hinge allein von ihm ab, dass Nerone sein Zepter schwingen darf. Hat der stotternde Narr solches gewagt? Ganz schnell wird er ihm jemanden schicken, der ihm seinen Befehl übermitteln soll, dass er zu sterben habe. Redensarten und dumme Sprüche können ihn nicht leiten, denn sein Schicksal bestimme er allein, sagt ihm sein Selbstverständnis. Seine eigenen Geisteskräfte hält er nicht für so gering, dass er es dulden müsse, andere über sich bestimmen zu lassen. Poppea soll guten Mutes sein, denn noch heute werde sie sehen, zu was die Liebe fähig ist. Ein orchestrales Zwischenspiel leitet über zur nächsten Szene.

11. Szene

Ottone - ganz schön dreist - hatte sich im Schlafzimmer versteckt und zugehört. Nun beklagt er sein unwürdiges Schicksal und hat sich ausgerechnet Poppea als Dialogpartner gewählt:

Andere können süße Getränke kosten, er darf den Kelch nur anschauen. Offen sind die Tore für Nerone, aber Ottone muss schön draußen bleiben. Der andere sitzt an der Tafel und sättigt seine Gier, aber er stirbt an bitterem Fasten. Poppea stellt richtig: Wer unglücklich geboren sei, muss sich selbst die Schuld geben und nicht den anderen. Sie sei nie und nimmer die grausame Ursache seines erbärmlichen Zustands. Poppea spart nicht an Belehrung, doch Ottone bemerkt bitter, dass Nerone mit den süßen Äpfeln spiele und der eigene Mund nichts zu beißen habe. Wenn Fortuna ihm die kahle Stirn bietet, und anderen ihre Locken zeigt, entgegnet Poppea, besagt das lediglich, dass andere glücklicher waren als er. Sein Missgeschick sei nicht ihre Schuld. Ottone hofft, dass nicht Granit ihr Herz umschließt und sein Leiden eines Tages imstande seien, es zu Wohlwollen und Liebe zu erweichen. Poppea sagt ihrem verflossenen Gatten in aller Deutlichkeit, dass er sie nervt und er sein Werben einstellen soll. Sie verlasse ihn, um den Thron zu erklimmen, sie gehöre jetzt Nerone und damit basta!

Arnalta hatte lange nichts gesagt und vergewissert Ottone ihres Mitgefühls. Scheinheilig bedauert sie den unglücklichen Jüngling und höhnisch klagt sie Poppea an, kein Mitgefühl zu haben. Sie erinnere sich ihrer eigenen Jugend und will niemals einen Liebhaber in Verlegenheit gebracht haben, seinem Leben ein Ende zu setzen, weil sich zuvor immer rechtzeitig das Mitleid eingestellte.

12. Szene

Ottone kommt zu der Auffassung, dass das schwache Geschlecht seine menschlichen Züge nur im Gesicht trage und einzig darauf aus sei, zu herrschen. Er hat Angst, dass Nerone entdecken könnte, dass seine Gefühle für sie noch nicht erloschen sind und ihn hinrichten lassen könnte. Dieser Möglichkeit will er durch Dolch oder Gift zuvorkommen. An seinen Qualen sei einzig die verräterische Poppea schuld, die Schlange, die er am Busen nährte.

13. Szene

Die Rettung aus trüben Gedanken bringt Drusilla. Das Mädchen kritisiert, dass der Verflossene entweder in Gedanken oder in Worten nur bei Poppea sei. Ottone ist um eine Antwort nicht verlegen. Aus dem Herzen vertrieben, gelangt der Name der Geliebten auf die Zunge. Von dort schrillt es in alle Winde, dass die Treulose ihn verriet. Drusilla gedenkt ihrer Abfuhr: Das Gericht der Liebe urteilt häufig gerecht. Mit ihr hatte der Geliebte doch auch kein Mitleid, nun hat sie das Recht, ebenfalls über ihn zu lachen.

Ottone überlegt, ob es nicht tatsächlich besser sei, Drusilla gegen Poppea einzutauschen. Für schlechtes Verhalten bittet er um Verzeihung und die schöne Drusilla soll sich ihm doch jetzt wieder zuwenden. Seine Seele sei zur Besserung bereit - als Diener und Freund will er sich ihr weihen. Wohin denkt der liebe Ottone? Aller Verdruss sei von ihrer Seite aus begraben und vergessen, aber kann sie neuen Liebesschwüren auch trauen? Sie möchte nicht schon wieder angelogen werden. Ottone beteuert, dass er überhaupt nicht lügen kann. Woher kommt der Sinneswandel so plötzlich? Nun, die Liebe sei ein Feuer, welches sich plötzlich entflammt. Gut, hat sie ihn wirklich richtig verstanden, dass er nur sie liebt und er sich ihr wieder zuwenden will? Die unerwartete Süßigkeit seiner Rede kommt ein bisschen plötzlich! Er finde sie völlig unvorbereitet! Drusilla kann beruhigt sein, ihrer Schönheit versichert er seine Liebe. Das neue Bild habe sich seinem Herzen bereits eingeprägt. Drusilla ist hocherfreut und eilt zur Kaiserin, um ihr zu huldigen und ihr neues Glück kundzutun, den Geliebten zurückerobert zu haben. Ottone bleibt allein zurück - mit Drusilla auf den Lippen und Poppea im Herzen.

2. Akt:

14. Szene

Seneca findet, dass es zu Hause doch immer noch am Schönsten ist. Von seiner Familie ist er umgeben und hier unterweist er seine Schüler, die seiner Weisheit begierig lauschen. Tief in Gedanken versunken, kleidet er seine Empfindungen in Worte:

„Geliebte Einsamkeit,
Abgeschiedenheit des Geistes,
Ruhe der Gedanken,
Freude des Intellekts,
der die himmlischen Formen
in Gestalt der irdischen
studiert und betrachtet.
Zu dir kommt meine Seele voll Freude -
weit ab vom Kaiserhof
wo unverschämt und hochmütig
meine Geduld herausgefordert wird;
hier unter den Zweigen und im Grase
ruhe ich von Frieden umgeben.“

Den Philosophen kann in seiner Einfalt und Einbildung nichts erschüttern. Er bekommt hin und wieder hohen Besuch vom Olymp. Diesmal ist es Merkur, der ihm von Pallas Athene eine Botschaft auszurichten hat. Sein letztes Stündlein habe geschlagen. Das vergängliche Leben wird er nun hinter sich lassen und die Ewigkeit wird ihn aufnehmen. Seneca freut sich, dass er die Menschen vergessen kann und demnächst an der Tafel der Götter speisen wird. Der Tod sei ein glückliches Schicksal, wenn er aus einem göttlichen Mund verkündet wird. Guten Mutes soll er sich auf die himmlische Reise vorbereiten. Zum erhabenen Pfad, der zum gestirnten Himmel führt, wird Merkur ihm den Weg zeigen. Der Götterbote hat im Moment nicht viel Zeit und fliegt schon einmal voraus.

15. Szene

Dem Hauptmann der Prätorianergarde ist es nicht angenehm, eine schlimme Nachricht überbringen zu müssen. Tyrannische Befehle handeln meistens von Gewalttat oder Tod. Selbst, wenn sein Verstand der Anordnung nicht folgen kann, muss er die unheilvolle Botschaft verkünden. Es schmerze ihn, und sein Mitgefühl sei ihm sicher - deshalb soll Seneca ihn nicht so bitter anschauen. Ach, er braucht sich nicht zu entschuldigen, wenn er ihm eine verhängnisvolle Nachricht zu überbringen hat, denn Schicksalsschläge sei er gewohnt. Der Philosoph bedankt sich für dass schöne Geschenk - er habe verstanden und gehorche noch zur Stunde.

Wie kann er verstehen, wenn er die Botschaft noch gar nicht ausgesprochen hat? Nun, Seneca kann sich zusammenreimen, dass Nerone ihm den Tod befiehlt, doch zuvor will er noch seinen Dank formulieren. Sein Auftraggeber soll nicht glauben, dass der Himmel ihn vergessen habe, denn Merkur war soeben noch bei ihm. In seinem Alter sei es ein Vergnügen, von Natur und Atemluft befreit zu werden. Gut, dass er schnell begreift und keine Umstände machen wird. Wenn der Tag verblasst und die Sonne wegbleibt, sei seine Stunde gekommen. Der Prätorianer wünscht ihm eine frohgemute Wanderschaft aus dieser Welt. Nicht ohne Trost lasse er seine Anhänger zurück, an seinen gelehrten Schriften werden sie sich entzünden.

16. Szene

Philosophisch verschnörkelt sieht Seneca sich nun genötigt, seine Umgebung von seinem beabsichtigten Freitod in Kenntnis zu setzen. Alle raten ab und jammern: Das Leben sei doch schön, der Himmel heiter und kleine Unannehmlichkeiten überwinde der Alltag wie von selbst.

Seneca möchte sein Ableben ein wenig gestalten. Er fordert die Freunde auf, ihm ein Bad zu bereiten, denn fließendes warmes Wasser soll sein verströmendes Blut aufnehmen. Der vergossene Lebenssaft soll den Weg seines Todes purpurn färben. Auf der Opernbühne wird diese Szene häufig so dargestellt, dass ein großes weißes Bettlaken gespannt, hochgezogen und den den oberen Zipfeln gehalten wird. Seneca macht sich dahinter zu schaffen. Sobald das Tuch weggezogen wird, hat der Mutige seinen Suizid durch Aufschneiden der Pulsadern beendet und liegt für den Augenschein sichtbar 'am Boden zerstört'.

17. Szene fehlt, deshalb weiter mit der 18. Szene

Das Opernpublikum soll sich von dem Schock erholen. Damit der Nachahmungstrieb nicht erwacht, gibt es jetzt eine burleske Szene. Die Dekoration wurde gewechselt. Ein Jüngling erfreut sich mit seinem Mädchen des Lebens und tändelt mit ihr. Amor steht Pate.

19. Szene

Nerone freut sich, dass der lästige Mahner tot ist. Sein Freund Lucano ist bei ihm. Beide sind voll des süßen Weins, umarmen sich, sind lustig und singen fröhliche Lieder, die den Liebesgott preisen. Ihr Herz habe Amor aus wertvollen harten Edelsteinen geformt. Nerones Sonne ist natürlich Poppea.

20. Szene fehlt, deshalb weiter mit der 21. Szene

Ottone beklagt einmal mehr sein unglückliches Schicksal und spielt diesmal mit der Vorstellung, Poppea zu töten. Seinen verwirrten Geist hat er nun endlich so weit gebracht, dass er die Liebe, die er bisher für sie empfunden habe, ihr nun verweigert. Gleichzeitig bittet er die Götter, seinen frevlerischen Geist zu bestrafen, der solche höllischen Pläne ausbrütet. Er entschließt sich, dass seine verzweifelte Liebe seine Wonne sein soll. Seine Qualen wird er lieben, die in ihrem schönen Gesicht ihren Ursprung haben. Wenn er schon verdammt sein soll - aber dann bitte im Paradies.

22. Szene

Die Kaiserin Ottavia taucht plötzlich auf und herrscht ihn an: Von ihren Vorfahren habe er seinen Rang erhalten. Wenn er sich dieser unverdienten Wohltaten noch erinnere, dann soll er ihr jetzt helfen. Natürlich ist Ottone sofort bereit, zu Diensten zu sein, selbst wenn er ihr den eigenen Ruin anbieten müsste. Sie will, dass er die Schulden, die er angeblich bei ihr angehäuft hat, mit dem Blut der ihr verhassten Poppea bezahlt. Sie will, dass er die Rivalin tötet. Ottone glaubt, nicht richtig verstanden zu haben und wird aufgeklärt, dass das, was er soeben gehört hat, keinen Zweifel offen lässt. Will er etwa sein Versprechen nicht einhalten? Ach, das war doch nur eine unüberlegte Höflichkeit - rein rhetorisch gemeint. Ist sie sich eigentlich im Klaren, welches Risiko die Tat für ihn bedeuten würde - einmal ganz abgesehen davon, dass sie schief laufen könnte. Was murmelt er da? Ach, er hatte nur über die sicherste und ungefährlichste Art nachgedacht. Ottone fleht die Götter an, dass sie ihn zu diesem Schritt fähig machen, denn er sei in der Ausübung von Gewalttaten völlig ungeübt. Je schneller er sein Werk tut, desto lieber sei es ihr. Hinweg mit dem Zaudern! So bald soll er also sterben? Was sollen eigentlich seine ständigen Selbstgespräche. Wenn er ihrem Wink nicht unverzüglich gehorcht, wird er ihren kaiserlichen Unmut zu spüren bekommen und seine Trägheit mit dem Leben bezahlen. Was passiert, wenn Nerone dahinter kommt? Nerone muss das gar nicht erfahren. Er soll die Kleider wechseln und sich in Frauenkleidern verbergen. Das sei ein brauchbarer Schwindel, der schon manchem Täter sein Werk erleichtert hat.

Ottone ist den Tränen nahe. Ottavia möge ihm bitte etwas Zeit geben, damit er seine Gefühle wild machen, sein Herz entmenschlichen und seine Hand härten kann. Er könne nicht innerhalb eines Augenblicks seine liebende Seele in das Werkzeug eines mitleidlosen Mörders verwandeln. Wenn er nicht unverzüglich das Jammern lässt, wird sie ihn bei Nerone verklagen, dass er sie vergewaltigen wollte. Marter und Tod werden ihn noch heute treffen, wenn er sich nicht beeilt, ihren Wunsch zu erfüllen. Ottone sagt, dass er jetzt gehe, um zu gehorchen, bittet aber im gleichen Augenblick die Götter, das Leben und seinen Geist von ihm zu nehmen.

23. Szene

Drusilla hat keine Ahnung, in welcher Verfassung sich Ottone befindet. Ihr glückliches Herz jubelt in ihrer Brust, denn sie will sich jetzt am Sonnenschein erfreuen. Zuversichtlich hofft sie, dass der Schatz heute sein Liebesversprechen bekräftigen wird.

Dazu müsste man aber ungestört sein. Die beiden sind es aber nicht, den Ottavias Amme und der vorlaute Höfling aus der fünften Szene tauchen auf. Der Letztgenannte hat sich vorgenommen, die Amme zu ärgern und sie wegen ihres verblühten Aussehens auszulachen, nachdem er zuvor signalisiert hatte, dass er ihre Feuchtgebiete abgrasen möchte. Die verehrte Antiquität des guten Charon will dem Ungezogenen eine Ohrfeige verpassen.

24. Szene

Ottone hat Herzklopfen und seine Beine wollen seine Schritte, die er macht, nicht mehr in gewohnter Harmonie ausführen. Die Luft, die er einatmet, findet das Herz grambeladen. Drusilla will er ein schwerwiegendes Geheimnis anvertrauen, aber sie muss versprechen, zu schweigen und ihm zu helfen. Er soll sagen, was ihn bedrückt, als Pfand des Schweigens gibt sie ihm ihre treue Seele. Gut, sie soll nicht länger auf Poppea eifersüchtig sein, denn er muss ihr wegen eines schrecklichen Befehls das Schwert in die Brust stoßen. Damit niemand herausfindet, wer der Täter war, brauche er für das schreckliche Verbrechen ihre Kleider. Selbstverständlich gibt sie ihm die gewünschten Textilien, selbst ihr Blut würde sie ihm geben. Wenn alles glücklich erledigt ist, werden sie, auf ewig in Liebe vereint, miteinander leben. Wenn es dagegen schiefläuft, was er fasst befürchtet, soll sie ihm vor Mitleid weinend seine Begräbnisszene bereiten. Dann gibt es noch die Möglichkeit, dass er sich als Flüchtling vor der Königin wiederfindet und umherirren und sich verbergen muss - dann setzt er seine einzige Hoffnung in sie.

Drusilla ist Feuer und Flamme. Gern gibt sie ihm Kleider und Herzblut, aber mit dem letzteren soll er sorgsam umgehen und vorsichtig zu Werke gehen. Ihr Reichtum wird ihm überall und an jedem Ort zur Verfügung stehen, denn sie will beweisen, dass Drusilla eine große Liebende ist, die in der ganzen Antike nicht ihresgleichen hat. Sie will jetzt gehen und sich umziehen und mit eigener Hand wird sie ihn dann verkleiden. Aber sie möchte doch zu gern wissen, weshalb er diese grausige Tat vollbringen muss.

„Andiam, andiam omai,
Che con alto stupore il tutto udrai - Sie wird alles hören und staunen.“

25. Szene

Da Seneca nun tot ist und sein Mund schweigt, kann Arnalta nun endlich mit eigener Weisheit durchdringen. In zwei Dingen seien die Götter machtlos: Sie können den Tod nicht im Himmel einführen – ebensowenig wie die Treue an Königshöfen. Poppea soll ihre Treue nicht vergessen, wenn sie das Zepter in Händen hält und die Krone auf dem Kopf sitzt. Ach, Arnalta soll nicht zweifeln, Poppea sichert ihr Beständigkeit zu, immer wird sie ihre einzige Vertraute sein. Poppea betet zu Amor, dass er ihre Hoffnung endlich in den Hafen lenken soll. Die Vertraute soll ihr das Bett im Garten bereiten, weil ihre Augen sich jetzt friedlich schließen wollen und die frische Luft ihr gut tun würde. Wenn sie über die Zeit schlummern sollte, sollen die Mägde niemanden zu ihr lassen, höchstens ihre liebe Freundin Drusilla, die jederzeit Zutritt zu ihr hat. Arnalta singt ein Wiegenlied wie zu alten Zeiten: „Leg dich zur Ruhe Poppea, schlafe, meine Seele! Du bist gut beschützt. Angenehmes Vergessen soll deine süßen Gefühle beruhigen, mein Töchterchen.“

Sechsundzwanzigste Szene

Amor steigt in der Absicht vom Himmel herab, Poppea höchstpersönlich zu beschützen. Die Menschen leben im Dunkel, meint er zu sich selbst, wähnen sich in Sicherheit, wenn sie die Augen schließen und ahnen nicht, was in der Dunkelheit alles passieren kann. Scheinbar hat sich diesmal Amor - wie einst in Psyche - in ihre ungewöhnliche Schönheit selbst verliebt. Die irdische Göttin soll ruhig schlafen, denn er selbst, welcher Sonne und Sterne bewege, schütze sie vor jedem verräterischen Angriff. Jetzt hat der herannahende Ottone einen schweren Stand, weil er dem Liebesgott als Poppeas exklusiven Beschützer gegenüberstehen wird.

26. Szene

Ottone kommt und fühlt sich wie verwandelt - aber nicht von Ottone in Drusilla, sondern von einem Menschen in eine Schlange, so giftig und wütend, wie man auf der Welt noch nie eine gesehen hat. Doch, was sieht der Unglückliche? Seine geliebte Seele hat die Augen geschlossen und schläft, um sie nach getaner Arbeit nie wieder zu öffnen. Wahrscheinlich macht Poppea die Augen zu, weil sie seinen widerwärtigen Anblick nicht ertragen kann. Ihr Tod, der von seinen Händen kommen soll, lässt seinen Geist erzittern und bringt sein Herz in Schieflage. Es irrt jetzt in seinem zitternden Leib herum und sucht eine dunkle Ecke, um sich zu verstecken, oder es versucht, erfüllt von Schluchzen, seinem Körper zu entkommen, weil es am Verbrechen nicht teilhaben will. Aber was hält ihn zurück? Liebt er sie trotz allem? Doch, wenn er nicht ausführt, was er Ottavia versprochen hat, wird seine Weigerung das Ende seiner düsteren Tage beschleunigen. Alle, die anständig bleiben wollen, haben am Kaiserhof nichts zu suchen und sollten von dort verschwinden! Doch er sitzt in der Klemme. Er kann nur hoffen, dass die Tat unerkannt bleiben wird. Das befleckte Gewissen wird schließlich durch Vergessen gewaschen.

Achtung, Poppea! Ottone kommt, um dich zu töten! Amor ist wütend und erwägt, den elenden Schurken mit einem Blitz zu Boden zu werfen. Doch - so setzt er seine Überlegungen fort - dass es eines Gottes der Liebe nicht würdig sei, niedrige schmutzige Arbeit zu leisten und beschließt, den Unwürdigen zu schonen.

Poppea erwacht und ist erstaunt, Drusilla mit dem blanken Schwert in der Hand vor sich stehen zu sehen, während sie arglos in ihrem Garten schläft. Sie kommt nicht dazu, das Mädchen zur Rede zu stellen, denn Arnalta ist mobil geworden und schreit hysterisch, dass man Drusilla einfangen und das Ungeheuer totschlagen soll. Ottone gelingt es, in der Dunkelheit zu entweichen.

Amor beschließt, Poppea zur Kaiserin zu machen.

3. Akt:

28. bis 30. Szene

Die glückliche Drusilla wagt nun zu hoffen, dass die Schicksalsstunde auch für sie gekommen ist. Die Rivalin wird zugrundegehen und Ottone endlich ihr gehören. Sie hofft, dass ihre Kleider ihn gut getarnt haben. Doch Drusilla hat ihre Rechnung - wie man so schön sagt - ohne den Wirt gemacht. „Hier ist die Verbrecherin“ tönt Arnalta, „ihre Kleider hat sie gewechselt, um sich zu verbergen.“ Drusilla will wissen, was sie getan haben soll, dass man unerwartet bei ihr eindringt. Die feige Mörderin heuchele Unschuld, behauptet der Liktor, die schlafende Poppea wollte sie töten. Ihre weiten Kleider waren dem Geliebten keine Stütze bei der Ausführung der grauenvollen Tat. Sie muss sich selbst die Schuld geben, weil sie gutgläubig und unvorsichtig war.

Nun erscheint auch Nerone, sperrt seine Lauscher auf, um zu den Hintergründen des versuchten Attentats mehr zu erfahren. Arnalta spielt die Untersuchungsrichterin, wendet sich an Nerone und weist auf Drusilla: „Herr, hier steht die Verbrecherin, die versuchte, meine Herrin Poppea zu töten. Die Unschuldige schlief in ihrem Garten, als diese Frau kam. Das blanke Schwert hielt sie in der Hand. Wäre die Herrin nicht rechtzeitig erwacht, hätte der Dienerin wahrscheinlich der nächste Streich gegolten.“ Nerone agiert zunächst recht besonnen. Er will wissen, wer die Rebellin zur Tat verleitete und woher ihr Hass kommt. Waren es Machtgelüste oder hat ihr jemand Gold geboten? Gott und ihr Gewissen wissen, dass sie unschuldig ist. Unsinn! Feuer, Martern und Qualen aller Art sollen den Anstifter der Tat aus ihr herausquälen. Ihrer Vorstellung, die größte Liebende der Antike zu sein, macht Drusilla alle Ehre. In jedem Fall wird sie schweigen und selbst den Tod auf sich nehmen, damit die Umstehenden die Pflichten einer wahren Liebe erkennen mögen, beschließt die Bedrohte. Was zischelt die Schurkin? Liebe und Unschuld streiten in ihrer Brust. Bevor das Unglück auf sie eindringt, rät Nerone, soll sie doch lieber ihren störrischen Geist bereden und das Komplott aufdecken.

Nein, Drusilla bleibt dabei, dass sie die Verbrecherin gewesen sei, welche die unschuldige Poppea töten wollte. Nerone verliert die Geduld: Sofort soll die Frau Bekanntschaft mit dem Henker machen. Dieser soll eine Todesart finden, deren komplizierte Form den Tod der Verbrecherin quälend macht und ein Weilchen dauert. Ihr Angebeteter soll an ihrem Grabe die Augen öffnen und Tränen in reicher Fülle vergießen, fleht die Verzweifelte, wenn es zur Liebe nicht mehr reicht, dann wenigstens aus Ehrfurcht vor ihrer edlen Tat, denn es sei ihr letzter Liebesbeweis, mit ihrem Blut das geschehene Verbrechen zu sühnen. Nerone befiehlt, dass es mit dem grausigen Ende Drusillas langsam voran gehen soll.

31. Szene

Ottones Nerven halten nicht länger durch, dass Drusilla für ihn sterben soll, doch die Beklagenswerte will es sich nicht nehmen lassen, als große Liebende in die römische Sittengeschichte einzugehen. Ottone muss erst mit Einzelheiten herausrücken, dass er in Drusillas Kleidern auf Befehl der Kaiserin Ottavia die Mordtat ausführen sollte. Jupiter, Nemesis und Astrea sollen Blitze auf sein Haupt streuen, damit Galgen und gerechte Rache den wahren Schuldigen treffe.

Ottone erbittet den Tod aus Nerones Hand, doch wenn er so gütig wäre - was er nicht zu hoffen wagt - seinen Tod mit Würde zu verzieren, dann soll er ihn, ausgeschlossen von seiner Gnade, im Elend weiter existieren lassen. Er soll seinem Gewissen die Peitsche geben, um ihn völlig zu zermürben. Den Löwen und Bären würde solch ein Schuft, wie er einer ist, gar nicht schmecken.

Tyrannen produzieren sich gern in Edelmut, um von unrühmlichen Taten ein wenig abzulenken. Gut, Ottone soll leben, sich aber in die entferntesten Einöden des römischen Reichs zurückziehen. Seine Titel verliert er und seine Güter ist er los. Seinen Lebensunterhalt muss er sich erbetteln und eine Höhle in der Wüste sei sein Unterschlupf.

Aber die edle Frau, die aus Liebe so viel wagte und Lügen sagte, um ihn zu retten, soll auch am Leben bleiben und vom Ruhm seiner Milde künden, damit der Nachwelt ein wahrheitsgemäßes Bild von seinem edlen Charakter vermittelt wird. Drusilla sei ein bewundernswertes Beispiel für die weibliche Standhaftigkeit in dieser Welt. Ottone verkündet, dass ihre Tugend der Reichtum seines zukünftigen Lebens sein wird. Die Begnadigte äußert den Wunsch, den Rest ihrer Lebenstage an der Seite des Gatten glücklich verbringen zu dürfen.

Nerone wäre nicht Nerone, wenn er in dieser schicksalhaften Stunde nicht auch Ottavias gedenken würde.

„Ich beschließe nun
mit feierlichem Edikt
die Verstoßung Ottavias
ins ewige Exil
und verbanne sie aus Rom.
Schickt Ottavia zur nächstgelegenen Küste
und bereitet ein Holzboot vor.
Überlasst sie dann den Launen des Windes.
So mache ich meinem gerechten Zorn Luft.
Eilt, gehorcht mir sofort!“

32. Szene

Poppea fühlt sich wie neu geboren. Auf den überstandenen Schrecken hatte sie sogleich ein Bad in Eselsmilch genommen. Nerone erklärt ihr, dass es nicht Drusilla war, die ihr nach dem Leben trachtete, sondern ihr verflossener Gemahl Ottone, den Ottavia zur ruchlosen Tat angestiftet hatte. Nun, dann hat der Kaiser jetzt endlich einen Vorwand, die Verbrecherin zu verstoßen. Der teure Tag ist gekommen, auf den Poppea schon lange gewartet hat, denn Nerone erklärt ihr, dass sie noch heute seine Braut sein wird. Nun singen beide ein Liebesduett, in dem vorkommt, dass die glückseligen Stunden keine Störung dulden und wenn der eine einmal verloren geht, soll der andere nach ihm suchen.

33. Szene

Ottavia ist allein, hält sich für unschuldig, obwohl das Opernpublikum dabei war, wie sie den armen Ottone zur Mordtat an ihrer Rivalin verleitet hat. Sie trauert, weil sie das gefühllose Meer auf dem Weg ins Exil allein in einem Boote zu durchkreuzen hat. In Gedanken nimmt sie Abschied von den geliebten Ufern und den lieben Freunden - ihr Schmerz ist so groß, dass es ihr nicht vergönnt ist, zu weinen.

34. Szene

Arnalta steigt die Gunst der Stunde zu Kopf. Als zukünftige Hofdame der Königin will sie sich mit dem einfachen Volk nicht länger gemein machen. Die Menschen werden ihr schmeicheln und Schönheit und Jugend an ihr bewundern, obwohl sie genau weiß, dass sie wie eine alte Sybille ausschaut. Man wird ihre Gunst suchen, weil sie in der Lage sein wird zu intervenieren. Aus dem Kelch der Lügen wird sie Lobsprüche trinken. Als Sklavin wurde sie geboren und zur Dame ist sie aufgestiegen. Verächtliche Behandlung muss sie sich nicht mehr gefallen lassen. Nun kann sie ihre Brauen hochziehen.

35. Szene

Die Konsuln und Tribunen kommen herbei, denn nun folgt die Handlung, die im Titel der Oper angekündigt worden ist. In der Tat ist „Die Krönung der Poppea“ durch kein Hindernis mehr blockiert.

„Dir, höchste Herrscherin
legen wir mit der allgemeinen Zustimmung Roms
die Krone auf die Locken.
Vor dir liegen Asien und Afrika im Staub;
dir weiht sich Europa
und auch das Meer, welches den Erdteil um schlingt.
Angeboten wird ihr die Krone eines Weltreiches
und sie möge sie bitte nicht verschmähen.“

Die Würdenträger verziehen sich und machen Platz für das Schlussduett. Man versichert sich gegenseitig, dass man einander angehört.


Letzte Änderung am 4.6.2010
Beitrag von Engelbert Hellen