Louis Spohr (1784-1859):

Jessonda

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1822
Uraufführung: 28. Juli 1823 in Kassel
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Opus: WoO 53

Zur Oper

Art: Große Oper in drei Akten
Libretto: Eduard Heinrich Gehe nach dem Trauerspiel „La veuve de Malabur“ von Antoine Lemierre
Ort: Indien
Zeit: im 16. Jahrhundert zur Zeit der christlichen Seefahrt

Personen der Handlung

Jessonda: Gattin des verstorbenen Rajahs
Amazili: ihre Schwester
Dandau: Oberpriester
Nadori: Novize
d'Acunha: portugiesischer Admiral
Lopes: Tristans Vertrauter

Handlung

1. Akt:

Der Rajah ist gestorben. Der große Sohn Indiens sah seine letzten Tage. Kalt und starr, doch majestätisch, liegt er auf der Bahre. Der Frühling mit seinen Rosen ging vorbei und der Herbst mit seiner Pracht. Er sieht sie nimmer mehr. Seine Augen sind fest geschlossen und die Wangen blass.

Der Hohepriester und die Tempeltänzerinnen nehmen Abschied von ihrem Herrscher in der großen Opferhalle einer Pagode. Brahma nahm ihn von der Erde, doch sein Geist gehüllt in Nacht, irret an dem Saum der Himmel unstet trauernd hin und her. Von den Engeln und von den Menschen gleichermaßen geschieden, weint er in den Qualen der Einsamkeit und findet keine Ruhe bis der Holzstoß angezündet wird. Sein göttergleiches Weib muss auf das Leben kühn verzichten und ihren süßen Leib opfern. Erst danach naht der Seele des Gatten die Erlösung, die Schwäche des Alters streift er ab und er schwebt in der Jugend blühender Schönheit. Im Hinblick auf die Aufopferungsfreudigkeit der Gattin schwärmen die Bajaderen: Ist das Irdische erst verzehrt, Leben durch den Tod verklärt, schwinget sich der Geist nach oben, lasst uns alle Brahma loben.

Der Hohepriester Dandau hat einen Auftrag für Nadori, der seine Priesteramt mit wenig Freude ausübt. Er soll der Witwe die frohe Botschaft überbringen, dass sie nun ihren Anteil beisteuern kann, damit es dem Gatten im Jenseits gut geht. Dandau ermahnt den Jüngling zu Sittsamkeit und Gehorsam. Die irdischen Genüsse sind nicht für ihn gedacht, und er soll nicht nach den Blüten schauen, die glänzend ihm entgegen wehen.

Ein Offizier hat dem Hohenpriester, der nach dem Ableben des Rajahs die Regierungsgewalt innehat, wichtige Kunde zu bringen. Im Lager der verhassten Fremdlinge, welche die Festung seit zwei Monaten bekriegen, ist hoher Besuch angekommen. Die Priesterschaft bittet Brahma um die Vernichtung der Feinde: Schleudre von dem Wolkensitz auf des Landes Feind den Blitz. Kühner Sieger stolzes Lied, fröhlich dann zum Himmel zieht.

Die Schwester soll nicht weinen. Jessonda ist ruhig, obwohl sie ahnt, welche Prozedur ihr bevorsteht, denn sie sieht vom Fenster aus, wie Rauchwerk herbeigetragen wird. Amazili erinnert sich, wie der Vater mit den beiden Töchtern an diese Küste zog, wo harte Menschen wohnen und finstere Bräuche schrecklich walten. Jessonda musste ihren Freund verlassen und den greisen Rajah heiraten, an dessen Seite sie wie eine Tochter lebte und so die Möglichkeit hatte, dem Geliebten aus dem fernen Portugal treu zu bleiben.

Amazili sieht einen Silberstreifen am Horizont. Die Waffenruhe wird bald beendet sein und dann werden die Portugiesen angreifen und vielleicht gewinnen, den Opfertod von Witwen als Frevel erklären und beide hier herausholen.

Der Todesbote naht, Bajaderen tanzen vor ihm her. Jessonda lässt die Zeremonie gelassen über sich ergehen und nimmt sich vor, Haltung zu bewahren. So wie das Rohr zerbrach und das Linnentuch zerriss, vergeht nach heiligem Brauch ihr Leben auch. „Sobald aus Meeresfluten der nächste Morgen steigt, sollst sie in Feuersgluten...“ Nadori kann seine Botschaft nicht zu Ende bringen, so schön findet er die beiden Frauen. In des heiligen Tempels Hallen musste er nur Gebete lallen und nun kommen emotionale Probleme auf ihn zu. Amazili steigt sofort ein: Kann er ihr die Schwester retten, wie sein sanfter Blick verspricht, Dankbarkeit aus Rosenketten, sie ihm dann zärtlich flicht. Doch dieses Risiko will Jessonda dem Boten nicht zumuten. Nimmer kann er sie erretten, wenn sein Blick es auch verspricht. An ihr eigenes Leiden ketten, will sie diesen Jüngling nicht. Ihr genügt, wenn sie vereint jeder eine Träne weint. Nadori verhält sich geistesabwesend. Umgewandelt ist sein Wesen, Frühlingshauch die Brust ihm schwellt. Von der Sonne der Gefühle ist sein Antlitz aufgehellt. Mutig blickt er in die Welt.

2. Akt:

Was ist’s was Kriegers Tod versüßt, wenn purpurrot sein Blut entfließt? Und sinkt der Held, das Schwert zur Hand, preist selig ihn das Vaterland. Tristan da Cunha hält im portugiesischen Feldlager eine Ansprache. Durch Verrat ist dem König von Portugal weg genommen worden, von dem er dachte, dass es ihm gehöre. Jetzt gilt es, die Fahne des Glaubens zu schwingen und die Ordnung wieder herzustellen. Wenn die Situation es zulässt, darf auch Milde walten.

Sein Freund Lopes weiß von dem geheimen Kummer, der den Admiral quält. Einer Jungfrau dieses Landes hatte er sein Herz in feuriger Liebe zugewandt. Sie teilte seine Neigung, aber von fremder Macht wurde sie ihm entrissen. Seine Sehnsucht rief vergebens. Doch weshalb hat das Schicksal ihn an diese Küste zurückgeführt? Wo mag die Jungfrau weilen? Grundsätzlich herrschten feurige Triebe in des Feldherrn breiter Brust und schüchtern schweigt die Liebe bei der Stürme roher Lust. Doch bei ihr, die ausschaut wie ein Engel, war alles ganz anders.

Ein Zug von Frauen nähert sich einer Quelle unter Bäumen. Jessonda will sich noch einmal mit heiligem Nass benetzen, bevor sie zur frommen Handlung den Scheiterhaufen besteigt. Die Witwe bittet ihr Gefolge, sie mit ihrer Schwester allein zu lassen. Zum letzten Male will sie lächelnd die Fluren schauen, die in der Abendsonne Strahlen ihr wehmütig entgegen lächeln. Der Erinnerung an den Geliebten gedenkt sie einen Kranz aus Rosen zu winden. Tristan und Lopes sehen es von ferne durch ihre Ferngläser.

Nicht in den Flammen soll die Unschuld sterben! Nadori will sie retten. Er hat einen Plan. An den Edelmut des Portugiesen will er sich wenden, sich mit dem Schwerte kämpfend an seine Seite stellen, damit dieser die Wende des Schicksals herbeiführe. Und wenn er erst an den süßen Lohn der Schwester denkt, wird ihm ganz schwindlig. Wen sieht er unter Blumen wandeln? Oh Amazili! Wenn auch Verrat und Tod ihn umlauert, an dieser Blüte kann er nicht still vorübergehen. Mögen dumpf die Donner hallen, strahlt ihm nur ihr sanfter Blick. Louis Spohr hat an dieser Stelle das Liebesduett eingebaut.

Jessonda ist fertig mit Baden. All ihr Hoffen all ihr Glück, ließ sie in der Flut zurück, kommentieren die Bajaderen. Nadori hat den Admiral mobilisieren können. Wer soll hier den Tod erleiden? Jessonda heißt die Verurteilte. Welcher Klang, wie er ihm zum Herzen drang! Wonne fasset ihn und Grauen. Wartet, er will nach dem Mädchen schauen. Heiliger
Gott, er sieht sie wieder, Schleier fallen raschelnd nieder. Ja, er ist’s. Sein treuer Blick gibt das Leben ihr zurück. Die Begleiterinnen warnen vor Unbedachtheiten: Jessonda ist des Feuers Braut und sie wird jetzt nicht geklaut.

Der oberste Bramahne ist ihnen auf den Fersen. Was muss er seh’n? Die Todgeweihte an des Fremdlings Seite. Ihre Schande zu verhüllen, rabenschwarze Nacht stürze herab, ab mit ihr ins Grab! Sterben soll sie? Aber Sie will leben, ihm in Lieb und Lust ergeben. Die Sonne birgt ihr Angesicht, leuchtet diesem Frevel nicht.

Die Krieger ziehen ihre Schwerter. Dandau erinnert an die vertraglich abgemachte Waffenruhe. Ehrenwort ist Ehrenwort und anständig ist anständig! Tristan sagt Jessonda Lebewohl. Lopes ist nicht einverstanden. „Werdet ihr uns wieder sehn, soll die Stadt in Flammen steh’n.“ kündet er den Umstehenden.

Wilde ungeheure Schmerzen wühlen tief in ihren Herzen. Ein Quartett beschließt den zweiten Akt.

3. Akt:

Mit schwarzem Fittich deckt die Nacht die Leiden einer großen Seele, unstet im Kampfe der Gefühle am Strand des Meeres irrt d’Acunha. Lopes versucht den Freund zu trösten, so gut es geht. Die Ehre war ihm wichtiger als die Liebe. Er wünscht ihm, dass ein Engel hernieder steigt, das tiefgebeugte Heldenherz zu trösten. Der Engel ist schon da in Gestalt von Nadori. Entflohen ist er aus des Tempels Hallen und bringt Licht in ins Heldenherz. Dandau hat die Waffenruhe gebrochen. Er hat zwei Leute bestimmt, die in der Dunkelheit der Nacht heimlich die schönen Schiffe in Brand stecken sollen. Erwischt man sie auf frischer Tat, ist der Beweis des Vertragsbruches erbracht.

Durch einen geheimen Gang wird Nadori die Portugiesen in die Stadt führen. Man kann sich ein bisschen Zeit lassen mit den Vorbereitungen. Der Scheiterhaufen wird erst im Morgenrot angezündet, so will es der Brauch und die Zuschauer haben bessere Sicht. Die Stunde hat geschlagen, Tristan teilt die Leute ein, die Götterbilder sollen gestürzt und die Damen befreit werden. Auf in den Kampf.

Im hellerleuchteten großen Brahma-Tempel fleht man zu den Göttern und stimmt sich auf das Schauspiel einer Witwenverbrennung ein. Dandaus Herz pocht in wilden Schlägen dem kommenden Geschick entgegen.

Das Abfackeln der portugiesischen Schiffe ist misslungen. Die Portugiesen kippen das große schwarze Götterbild vom Altar. Die Tempelwache ist personell unterbesetzt, so haben die Portugiesen leichtes Spiel.

Sieh wie schon der Morgen graut. Lass dich schmücken liebe Braut. Die Bajaderen singen schöne Lieder, die der Situation angemessen sind. Lebenstrieb gib dich zur Ruh. Weltlich Auge schließ dich zu. Jessonda hat ganz andere Sorgen und fleht: Hohe Götter schauet nieder, ach erbarmt euch meiner Not. Gebt mir den Geliebten wieder, rettet mich vom Feuertod. Beflügelt von Entzücken naht Amazili: Vernehmet den Trompetenton, unsere Retter nahen schon. Dandau naht ebenfalls und dringt mit erhobenem Dolche auf Jessonda ein, aber Tristan ist rechtzeitig zur Stelle, den Todesstoß abzuwehen. Aus den Armen des Todes flüchtet sich Jessonda in die Arme des Geliebten und fühlt sich dort gut aufgehoben. Amazili möchte nicht zurückstehen und hält sich dicht an Nadori.

Bekämpft, gestürzt das Götzentum, dem Gott der Schlachten Preis und Ruhm! Heil wie die Morgenröte glüht, dem Herzen Lust und Liebe blüht!

Beschreibung

Das Libretto der Oper Jessonda ist köstlich. Es lohnt sich, allein den Text Text auf sich wirken zu lassen. Romantisch-biedermeierliches Empfinden wird nach Indien transportiert und in die monumentale exotische Kulisse einer Witwenverbrennung gestellt. Kaum zu glauben, aber die Synthese gelingt nahtlos.

Die „Grand Opera“ hatte ihre Ursprünge in Frankreich und wurde von den Italo-Franzosen Luigi Cherubini und Gasparo Spontini ins Leben gerufen. Es folgten Giacomo Meyerbeer und Gioacchino Rossini. Diesem Stil lehnten sich Louis Spohr mit seiner „Jessonda“ und Karl Goldmark mit seiner „Königin von Saba“ an. Der Exotismus indischer Ausprägung fand seine Fortsetzung unter Georges Bizet mit „Les Pêcheurs de Perles“ und Leo Delibes „Lakmé“.

Unverständlicherweise ist es um die „Jessonda“ beängstigend still geworden, ein Schicksal, welches diese Oper nicht verdient hat. Großartige Gesangsszenen, dankbare Aufgaben für den Solisten, eine spannende Geschichte mit logischem Handlungsablauf und unterhaltsamem Textbuch, eine verlockende Aufgabe für den Bühnenbildner und Ausstatter eines großen Hauses (wenn die finanziellen Mittel es gestatten) sprechen für eine Wiederbelebung der Spohr-Oper. Es dürfte eine Frage der Zeit sein, das Werk aus dem Dornröschenschlaf aufzuwecken und romantisches Empfinden einem hektischen Zeitalter als Alternative anzubieten.


Letzte Änderung am 23.8.2015
Beitrag von Engelbert Hellen
["gewidmet meinem Reisegefährten Dr. Thomas Reheis"]