Sándor Balassa (geb. 1935):

Az ajtón kívül

deutsch Draußen vor der Tür / englisch The Man Outside

Allgemeine Angaben zur Oper

Anlass: Auftragswerk des Ungarischen Rundfunks
Entstehungszeit: 1978
Uraufführung: 20. Oktober 1978 in Budapest (Nationaloper)
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Spieldauer: ca. 70 Minuten
Erstdruck: Budapest: Editio Musica, 1978
Opus: op. 27

Zur Oper

Art: Oper in 5 Sätzen
Libretto: Géza Fodor nach Wolfgang Borcherts Drama „Draußen vor der Tür“
Sprache: ungarisch
Ort: Deutschland
Zeit: nach dem Zweiten Weltkrieg

Personen der Handlung

Beckmann: (Tenor)
Das Mädchen: Lány (Sopran)
Der Einbeinige: Féllábú (Bass)
Gott: Isten (Tenor)
Der Tod: Halál (Bass)
Der Oberst: Ezredes (Bariton)
Der Kabarettdirektor: Banaréigazgató (Bariton)

Handlung

ERSTER SATZ

Eine ganz neue Idee – der Tod übernimmt zusätzlich die Funktion eines Beerdigungsunternehmers. Die Menschen sterben wie die Fliegen. Da steht so einer, der zu nah ans Wasser ging, nicht widerstehen konnte und hineingesprungen ist. Nun, das ist weiter nichts besonderes.

Ein alter Mann kommt vorbei. Tatsächlich ist es ist der liebe Gott, dem seine Schöpfung entglitten ist. Er jammert, weil seine Kinder sich selbst umbringen. Was noch schlimmer ist, keiner will mehr an ihn glauben!
Nicht einmal der Tod erkennt ihn. Er hätte den anderen beinahe auch nicht wiedererkannt, weil er so fett geworden ist. Es ist nicht gut, wenn man sich überfrisst. Er kennt ihn noch aus der Zeit, bevor der Krieg los ging, als er noch hungern musste. Die armen Kinder: Sie erschießen sich, sie erhängen sich, sie ersäufen sich, sie vernichten sich, und er kann es nicht ändern. Der Alte soll nicht traurig sein wegen der lieben Kinder, die wie die Fliegen sterben. Weshalb möchte er eigentlich, dass man an ihn glaubt. Für jemanden, der soviel Chaos schafft wie er, ist es ohnehin besser, unerkannt zu bleiben.


ZWEITER SATZ

Das Mädchen hat jemanden ausgemacht, der halb im Wasser liegt und offenbar im Begriff ist, einen Suizid zu begehen. Sprechen kann er noch, denn er bekennt, dass er es auf der Welt nicht mehr aushält und endlich in Ruhe schlafen möchte. Gut, dass er noch lebendig ist, denn heutzutage sieht man oftmals Tote im Wasser. Kein appetitlicher Anblick, sie sind gedunsen, glitschig und weiß wie Gespenster. Der Tod habe ihn nicht gewollt und gemeint, das Leben sei schön und er solle es noch einmal versuchen. Das Mädchen bemerkt, dass er klatschnass ist. Das ist korrekt, und kalt ist ihm auch. Im Krieg hat er viel gefroren. Er soll mit ihr nach Hause gekommen, bevor er zum Fisch wird. Passen wenigstens die Hosen? Eine Jacke hat sie auch noch für ihn. Das war doch die Jacke eines Riesen. Das Fischlein soll ihr sagen, wer er ist. Beckmann heißt er, einfach Beckmann. Als er gestern nach Hause kam, sagte seine Frau zu ihm „Drei Jahre sind eine lange Zeit, Beckmann!“ Armes Fischlein! Der andere, der bei ihr war, saß auf seinem Platz und hatte seine Klamotten an und hat gegrinst. Sein kleiner Junge, gerade mal ein Jahr alt, liegt irgendwo in der Tiefe zwischen Mörtel und Schlamm. Er hat ihn nicht einmal gesehen. Aber jetzt sieht er ihn jede Nacht unter Millionen von Steinen, Schutt nichts als Schutt. Das Zeug, welches sie ihm gegeben hat, von welchem Riesen war das. Der Riese war ihr Mann. Wo ist er jetzt? Verhungert, erfroren, gefallen! Sie weiß es nicht, seit drei Jahren ist er vermisst. Er will das Zeug ausziehen, weil es ihm nicht gehört. Doch das Mädchen beruhigt ihn und bittet, die Sachen anzubehalten. Er soll still sein. Er sieht so traurig aus. Das graue Gespenst soll sich neben sie setzen. Vorwärts, rückwärts, unten, oben. Wer weiß wie es morgen aussieht. Vielleicht sind sie beide unbeweglich und kalt. Aber heute Abend ist das Blut noch feurig. Heute Abend schwimmt es nicht weg. Hat das Fischlein verstanden? Beckmann sagt zu ihr, dass ein Mann hinter ihr stehe. Ein Riese, aber er hat nur ein Bein. Der Riese kommt näher und fragt den Gast, was er hier zu suchen habe in seinem Zeug und bei seiner Frau. Ein Traum. Ein tödlicher Traum. Der Ankömmling wiederholt seine Frage. Was tut Beckmann hier. O, er soll diesen Namen nicht nennen. Der andere nennt ihn zweimal hintereinander. Er will nicht mehr Beckmann sein. Was macht der Kamerad hier? In seinem Zeug, auf seinem Platz, bei seiner Frau ist er hier. Beckmann kann nicht bleiben, weil er es neben dem Einbeinigen nicht aushält, der seinetwegen zum Krüppel geworden ist. Im Krieg war er Beckmann dienstlich unterstellt, und als Vorgesetzter hat Beckmann zu ihm gesagt, er soll die Stellung halten bis zum Letzten. Beckmann gibt die Verantwortung zurück, und er gibt die Toten zurück. Aber an wen?

DRITTER SATZ

Es gibt schon wieder Bettler, genau wie früher. Gewiss, aber Beckmann ist kein Bettler. Kann der Herr Oberst nicht unterscheiden zwischen einer Wasserleiche und einem Deserteur? Kann er sich an den Unteroffizier Beckmann nicht mehr erinnern? Er soll sich nicht so unmännlich anstellen und wieder ein Mensch sein. Beckmann ist gekommen, um ihm die Verantwortung zurückzugeben. Er kennt ihn nicht. Zudem sei der Krieg zu Ende. Aber der Oberst hat zu ihm gesagt: „Unteroffizier Beckmann, ich gebe ihnen die Verantwortung für zwanzig Mann. Sie erkunden den Wald und machen nach Möglichkeit ein paar Gefangene.“ Die Gruppe ist in ein Gefecht geraten und mit nur neun Mann zurückgekehrt. Er hatte die Verantwortung! Hat der Krieg ihn verstört? Beckmann wirkt so mutlos. Wahrscheinlich ist er ein Weichei. Jawohl Herr Oberst, weich und müde. Im Traum erscheinen ihm die Kameraden. Von überall kommen sie her. Sie kriechen hervor, einarmig, zahnlos, stinkend und blind. Unübersehbar die Zahl, unüberschaubar die Qual. Sie überschwemmen die Welt. Vertretungsweise schildert der Chor die Schrecken des Krieges, weil dem Herrn Oberst zum Thema nichts einfällt. Der liebe Beckmann erregt sich völlig unnötig. Kann der Herr Oberst eigentlich leben, ohne zu schreien? Was fällt dem Unverschämten eigentlich ein? Wie fühlt er sich als Mörder? Wieso soll er ein Mörder sein? Er ist mit Sicherheit verrückt!

VIERTER SATZ

Beckmann hat herausgefunden, dass der Schnaps ihm hilft, das Leben in einem ganz neuen Licht zu betrachten. Er ist bei guter Laune und singt das Lied von der sau-, von der sau-, von der sauberen Soldatenfrau. Die Stationen seiner jüngsten Vergangenheit ziehen an ihm vorbei. Die Welt hat gelacht, die Welt hat gebrüllt und die Nebel der Nacht haben alles verhüllt.

Ein Kabarettdirektor tut erstaunt. Die Feldblume der Kunst blüht wieder auf der Straße. Beckmann könnte bei ihm auftreten, aber er soll sich ein bisschen herrichten, damit die Leute nicht von Schluchzen überwältigt werden. Der Krieg ist zu Ende und man braucht jetzt eine Kunst, die nicht verstört, sondern aufheitert. Die Leute erwarten es und der Künstler soll machen, was man von ihm erwartet. Was ist mit der Wahrheit? Die Wahrheit hat mit der Kunst nichts zu tun, mit ihr macht man sich nur verhasst. Eine löbliche Erkenntnis. Der Direktor bietet Beckmann den großen Auftritt und erwartet ihn in seinem Kabarett.

FÜNFTER SATZ

Beckmann irrt durch die Straßen und fühlt sich verlassen. Die Menschen genießen wieder das Leben, aber erschrecken, wenn er sie anspricht. Die Türen sind für ihn verschlossen und er fühlt sich ausgesperrt. Der Einbeinige humpelt hinter ihm her und macht ihm Vorwürfe. Beckmann fühlt sich als Mörder, der ermordet wurde. Er bittet den Tod, ihm die letzte Tür zu öffnen. Es ist die einzige, durch die er gehen möchte. Der Chor bittet den Tod, seinen letzten Wunsch zu erfüllen.

Beschreibung

Der Librettist hat das Drama von Wolfgang Borchert noch einmal auf ein Minimum zusammengestrichen. Ein Muster an Präzision der Aussage ist entstanden, die jede fremde Interpretation des Inhaltes überflüssig macht. Direkt fühlt sich der Zuhörer von der Tiefe der Empfindung überflutet und wird von dem Strudel von Beckmanns Artikulationen mitgerissen. Was in knappen Formulierungen ausgedrückt wird, ist erschütternd und umfasst in allen Schattierungen das Drama, welches jeder Krieg zu jeder Zeit auslöst. Balassa versteht es, eine Klangsprache zu entwickeln, die an Alban Berg erinnert und die textliche Aussage mit der Wucht der Töne multipliziert.


Letzte Änderung am 4.8.2007
Veröffentlichung mit Zustimmung von musirony