Alfredo Catalani (1854-1893):

Loreley

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1880
Uraufführung: 16. Februar 1890 in Turin (Teatro Regio)
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Bemerkung: Fredrik Pacius (1809-1891) und Max Bruch (1838-1920) hinterließen ebenfalls eine „Lorley“. Beide Opern wurden in deutscher Sprache komponiert. In Liedform hat Franz Liszt den Text von Heinrich Heine vertont.

Zur Oper

Art: Azione romantica in drei Akten
Libretto: Carlo d'Ormeville und Angelo Zanardini nach dem Rheinischen Sagenschatz
Sprache: italienisch
Ort: Mittelrhein
Zeit: um 1300

Personen der Handlung

Loreley: (Sopran)
Walter: Herr von Oberwesel (Tenor)
Anna di Rehberg: seine Verlobte (Sopran)
Hermann: Baron, seit langem in Anna verliebt (Bariton)
Rodolfo: Markgraf von Biberich, Annas Onkel (Bass)
Weitere: Fischer, Förster, Jäger, Bogenschützen, Vasallen, Frauen, Rheinnymphen, Luftgeister

Handlung

1. Akt:

1. Szene

Dichter Wald, dunkle Höhlen, schroffe Klippen und ein breiter ungebändigter Strom sind Orte, an denen sich Nixen und Luftgeister am liebsten aufhalten. Zumindest wurden sie von den Menschen in alter Zeit noch wahrgenommen und man trat mit ihnen in Kontakt. Die Hilfesuchenden überwanden ihre Scheu, wenn Unrecht sie bedrückte oder das Schicksal hart zugeschlagen hatte. Berufliche Tätigkeiten sind eng mit der Natur verbunden. So gibt es Jäger, die mit dem Bogen umgehen können, und Fischer, welche die Netze auslegen. Der Wald bietet das Material, aus dem die Hütten gebaut werden, und er liefert das Brennholz für die kalte Jahreszeit. Die Frauen sammeln Pilze für warme Mahlzeiten oder Beeren, um daraus Marmelade zu kochen. Wenn der Erfolg sich nicht in ausreichendem Maße einstellt, ist selten der Wandel der Jahreszeiten oder die eigene Unfähigkeit Schuld – Hexerei ist dann im Spiel. Alte Frauen, die am Stock gehen und seltsame Dinge wahrnehmen, sind besonders gefährdet und der körperlichen Züchtigung oder Schlimmerem ausgesetzt.

Was ist eigentlich oben auf der Burg los? Das Echo festlicher Musik klingt bis ins Tal. Eine der Frauen will wissen, dass Walter, der Herr von Oberwesel, eine eheliche Verbindung mit Anna von Rehberg anstrebt und man sich vermutlich auf die Hochzeit einstimmt. Alles ist ein bisschen unheimlich, so blutrot war der Himmel noch nie. Eine zahnlose Alte will letzte Nacht den Vollmond im Schatten eines grünen Schleiers gesehen haben wie er am nächtlichen Himmel durch die Wolken wanderte. Dazu hat unaufhörlich der Uhu gerufen. Schon heißt es, die Alte sei eine Hexe. Was ist die Ursache, dass das Rotwild flieht und der Eber im undurchdringlichen Unterholz verweilt? Warum meiden die Karpfen die ausgeworfenen Netze? Natürlich hat die Hexe vorher durch Zuruf gewarnt oder mit bösem Blick den Bogen fehlgeleitet. Warum transportiert sie auf dem Kopf kein Brennholz wie die anderen Frauen auch? Wahrscheinlich ist sie mit den übrigen Hexen die ganze Nacht auf dem Besen geritten und jetzt müde.

In höchster Not kommt Herrmann vorbei. Er ist von Adel, rügt Faulheit und stellt Tapferkeit infrage. Nach den Ursachen ihres Unmutes befragt, bezeichnen die Aufgebrachten die Alte als Hexe, die ihren Bogen fehlgeleitet und ihre Netze verzaubert habe, aber keiner will handgreiflich geworden sein. Es muss doch eine Ursache geben, weshalb in der Ferne die Spitzen der Felsen sich rot färben, obwohl die Sonne noch gar nicht untergegangen ist. Unheimlich kommt ihnen das vor. Sie gehen in verschiedene Richtungen auseinander, und die Alte ist für den Moment gerettet.

2. Szene

Hermann ist sorgenvoll und mit sich selbst nicht im Klaren. Warum hat Walter ihn zu einer Aussprache in diese unwirtliche Gegend bestellt? Er war es, der Anna zuerst liebte, aber die Neigung in seinem Herzen hielt er vor der Welt verborgen. Jetzt hat der gute Freund sie ihm weggeschnappt und zu seiner Braut erkoren. Er fühlt sich geprellt. Doch Walter hat ebenfalls Probleme mit seinen Emotionen. Weshalb ist der Herr von Oberwesel aus seinem Liebesnest ausgerückt, will Hermann wissen, obwohl Hochzeit geplant ist? Ob der Freund es glaubt oder nicht, dieser stille Platz birgt für ihn eine schlimme Erinnerung. Reue und Furcht quälen sein Gemüt. Wenn Trost gespendet werden soll, muss der Gequälte mit der Sprache herausrücken. Kann er sich auf seine Verschwiegenheit und seine Treue verlassen? Nun denn, ein hübsches Mädchen mit langen blonden Haaren, unschuldig und schön, hat er einst verführt, und jetzt rast ein unaufhörlicher Sturm in seinem Herzen. Aus Kalkül hat er sich einer anderen zugewandt, um sich nun mit immerwährendem Knoten standesgemäß mit ihr zu verbinden. Walters Gedanken wandern in die Vergangenheit. Eines Tages, es war im Wonnemonat Mai und der silberne Mond war bereits aufgegangen, genau an diesem Platz ließ sich eine Jungfrau neben ihm nieder. Sie schien allein zu sein und lächelte ihn an. Auf ihn wirkte sie wie die Königin der Luftgeister, ihr blondes Haar fiel lose auf die Schultern herab und umgab sie wie ein Mantel von Gold und Licht. Liebesgesang erklang aus der Ferne wie ein Echo. Was passierte dann, drängt Hermann. Walter wusste sofort, dass er sie und sie ihn liebte. Sein Herz machte Freudensprünge und sie führte ihn von einer Verzückung zu anderen. Herrmann fühlt, wie Neid und Bosheit in ihm aufsteigen. Gern erteilt er Rat und gibt auch Schutz. Was Walter empfunden hat, war nur ein sexuelles Fieber, welches mit etwas Disziplin unter Kontrolle zu bringen ist. Die Flamme des Herzens sei nicht hochgeschossen. Er soll den Abgrund neben sich erkennen und die bösen Wolken wegschieben. Nun, so einfach ist das nicht. Sie wirkt auf ihn wie eine Gottheit und sie hängt an ihm. Er hat das Gefühl, dass diese Liebe ihm zum Schicksal wird. Walter findet die Lage hoffnungslos. Aber Anna ist doch auch ein Engel, tröstet der Freund. Mit ihren leidenschaftlichen Küssen, die sie ihm geben wird, lässt sie die alte Liebe in Vergessenheit geraten. Jetzt ist es Herrmann, der vor Rührung übermannt wird, weil er an Anna denken muss. Er rennt weg, um seine Gefühle nicht zu verraten, und Walter fasst einen Entschluss. Der Konflikt zwischen Herz und Verstand ist gewonnen. Die Ehre hat gesiegt, und die Kleine soll sich auf einen harten Fußtritt gefasst machen. Das Schicksal wird sie trennen.

3. Szene

Herrmann ist weg und Loreley naht. Seitdem sie Walter ihr ganzes Selbst zur Verfügung stellte und sie die Verzückung der Liebe kennen gelernt hat, ist alle Sorge aus ihrem Herzen entschwunden. Eine glückliche Ekstase umschmeichelt ihre Empfindungen – sie liebt ihn und er liebt sie – etwas anderes weiß sie nicht. Loreley pflückt Blumen, der Himmel ist bewölkt und die Erde erscheint ihr wie ein Garten. Eine milde Briese schüttelt die Äste und küsst die Blumen. Der Frühling hat seinen Einzug in ihr Herz gehalten. Endlich ist Walter zur Stelle. Hat sie ihm nachspioniert? Wie ein Schatten wird sie ihm überall hin folgen. Schließlich ist sie seine Partnerin. Wenn er weg von ihr ist, hat sie das Gefühl, dass alles von ihr weg ist. In der vergangenen Nacht war ihre Seele völlig durcheinander. Ein furchtbarer Traum löste eine ihr fremde mysteriöse Betrübnis aus. Sie konnte sich nicht beruhigen, und rastlos lenkte sie ihre Schritte in den Wald, setzte sich nieder und wartete auf ihn. Es war schmerzlich für sie zu denken, dass er ihre Liebe vergessen haben könnte. Nun hat sie ihn zu ihrer Freude wiedergefunden. Sie erwartet, dass es für ihn nur sie gibt und er jetzt sagt, dass er sie liebt. Der Umworbene hat ihr ein paar passende Worte zu sagen, die sie bitte ernst nehmen soll. Der Ernst soll außen vorbleiben, denn jetzt möchte sie ihre Seele durchlüften. Ihre Augen möchten ihn betrachten und ihr Mund will den süßen Nektar seiner Küsse schlucken. Loreley, jetzt ist Schluss! Sie soll ihm die Aussprache nicht so schwer machen. Sie führt aus: Als er sie gefunden hat, war sie verlassen und einsam. Sie hatte niemanden außer ihm. Sie wurde nie beschützt von einem Vater und nie bekam sie einer Mutter Kuss. Sie hatte kein zuhause und niemand wartete auf sie. Nun, seitdem sie ihn hat, atmet und denkt sie und ist trunken vor Liebe. Walter wird schwach. Weist er sie ab, hat er das Gefühl, dass er sie verrät. Das will er nicht. Für Loreley kommen endlich die erlösenden Worte: Er liebt sie und wird sie immer lieben! Fanfarenrufe vom Schloss bringen den Unschlüssigen in die Wirklichkeit zurück. Er befreit sich aus Loreleys Umarmung und steht wie versteinert. Seine Gedanken purzeln durcheinander und er versucht Ordnung in seinem Kopf zu schaffen. Höchstmögliche Schonung will er ihr widerfahren lassen. Sie soll an den ersten Kuss denken, der aus der Liebe geboren war und dann den Mann verwünschen, der ihn ihr gab, weil er ein undankbarer Feigling ist. Er soll nicht weiterreden, weil ihr schaudert. Er zeigt mit der Hand auf einen entfernten Hügel, auf dem das Schloss steht, in dem er wohnt. Dort wird ein Ritus vorbereitet – Walter nun muss es heraus - eine andere wird er zum heiligen Altar führen. Loreley umschlingt ihn. Was ist mit ihr? Sie soll Mitleid mit seiner Sorge haben. – Nein! – Leb wohl auf immer! Walter rennt davon, Herrmann kommt hervor und schaut ihm mit geballter Faust hasserfüllt nach. Loreley ist beim Rückwärtsgang auf den Hinterkopf gefallen und nicht mehr bei Bewusstsein.

4. Szene

Hermann beklagt seine fehlende Courage, weil er Anna zugunsten eines Unwürdigen aufgegeben hat, der sie unter Beachtung gesellschaftlicher Wertvorstellungen heiratet, aber nicht liebt. Auch wenn Loreley im Moment zerstört am Boden liegt, wird die Macht ihrer verführerischen Anziehungskraft über Walter triumphieren. Er schaut sie mitleidvoll an und vergleicht sein Schicksal mit dem ihrigen. Seinen Glauben empfindet er plötzlich als störend und wirft sein Halskettchen mit dem christlichen Anhänger von sich. Alle Begriffe wie Mitleid, Wert, Ehre, Recht wirken auf ihn wie Lüge und er will sie aus seinem Herzen und von seinen Lippen verbannen. Der dunkle Eingang der Höhle hat plötzlich eine magische Anziehungskraft auf ihn, denn er vermutet dort den Eingang zu einer anderen Dimension. Der verdrossene König des Rheins sammelt Seelen, die müde, sorgenvoll und depressiv sind wie tote Blätter und erleichtert ihre Schmerzen. Den Wahrheitsgehalt der Legende will er auf die Probe stellen, streckt die Arme dem Rheinstrom mutig entgegen und nimmt mit den Bewohnern der Tiefe akustischen Kontakt auf. Für eine Stunde Liebesglück mit Anna macht er dem Rheinkönig ein sonderbares Angebot. In Form eines Gelöbnisses erlaubt er Alberich, ihn in ein Monster zu verwandeln und ihm einen Sumpf als Wohnung zuzuweisen. Den Körper darf er nach belieben transformieren, die Arme in Schlangen umwandeln, dem Gesicht einen Schnabel verpassen und das Blut vergiften – ganz nach Belieben. Nun verschwindet Hermann in der Höhle, damit der Kontrakt unterzeichnet und die Prozedur vorgenommen werden kann. Sein Geist ist so verworren, dass er dem Rheinkönig Gelüste unterstellt, die dieser gar nicht hat. Sollte es sich gegenteilig verhalten, wäre zur Transformation Hermanns Erlaubnis gewiss nicht erforderlich und auch keine Gegengabe fällig. Nun, der Opernbesucher ist gespannt, wie die Sache ausgehen wird. Auf der Bühne bilden sich bereits dicke Wolken, Blitze schlagen ein und ein Sturm kommt auf.

VERWANDLUNG

5. Szene

Die Wolken verschwinden nach und nach und lassen einen unebenen Platz mit aufsteigenden Felsen erkennen. Schwarze Höhlen wechseln mit grüner Vegetation. Den Abschluss bildet in der Ferne auf der anderen Rheinseite ein malerischer Felsen, auf dem Loreley später sitzen wird, um einem goldenen Kamm durch ihre aufgelösten Haare gleiten zu lassen. Für Nixen und Luftgeister ist es ein Ort zum Tummeln und Wohlfühlen. Sie lassen auch nicht lange auf sich warten und erzählen, aus welchen Gegenden sie kommen. Hio! hio! hio! heja hijo! Eigentlich sind sie überall zu Hause. Sie wohnen in Seen und Strömen, hausen zwischen ungastlichen Felsen oder in jungfräulichen Wäldern. An einigen Orten gibt es Eis und Schnee, andere wiederum sind vulkanischen Ursprungs. Am liebsten brüllen sie in der Uferbrandung. Der Sturm ist ihr liebster Geselle. Doch wenn die silberne Sichel des Mondes über dem heiligen Rhein erscheint, können sie auch etwas leiser sein. Eine Gruppe von Nymphen singt süße Weisen und erinnert sich ihrer irdischen Vergangenheit. Bräute waren sie, von unbedachten Liebhabern verlassen. Sie möchten nun durch ihren süßen Gesang das männliche Geschlecht büßen lassen und ins Verderben locken. Sie kommen von den Inseln der Verzauberung und halten sich am liebsten dort auf, wo Klippen sind. Die Fischer sind von ihrem Gesang berauscht und nicht mehr in der Lage, das Ruder ordentlich zu führen. Schon geraten sie in einen Strudel und um Mann und Maus ist es geschehen.

6. Szene

Loreley stolpert von einem Felsvorsprung herunter, das Gesicht bleich und die Augen gläsern. Ratlos fragt sie sich selbst, wer sie sei, woher sie komme und wohin sie eigentlich will. Die Antwort liegt in ihrem Innern verborgen. Sie ist der Geist eines toten Mädchens, der planlos durch die dunkle Nacht torkelt und den Mann verwünscht, den sie liebte. Selbst hat er zu ihr gesagt, er sei ein undankbarer Feigling und gehe jetzt zu seiner Burg, in der Vorbereitungen für eine Hochzeit getroffen würden, denn er gedenke eine andere Frau zum Altar zu führen. Vielleicht ist es nur ein Albtraum, und wenn sie aufwacht, liegt er neben ihr. Loreley realisiert schließlich doch, dass sie sich nicht mehr auf der irdischen Ebene befindet und Hoffen kein Resultat bringt. Wer wird ihr die verlorene Ehre zurückgeben? Nur einer kann eine neue Liebe im Herzen des Treulosen zu ihr entfachen. Es ist Alberich, der König des Rheins. Die Geister sagen zu ihr, sie soll genau formulieren, was sie sich wünscht, sie stünden zu Diensten. Loreley fasst einen eisernen Entschluss und wünscht sich in ihrem Hass

ein Herz aus kaltem Stahl,
eine Schönheit zu besitzen, die fasziniert,
einen Blick, der die Herzen gewinnt,
eine Stimme, die in die Seele eintaucht und
eine Liebe, mit der Gabe behaftet zu verführen und zu töten.

Die Luftgeister sagen zu, dass sie alles bekommen werde, aber zuerst muss sie die Braut des Rheins werden. Loreley sagt schlicht: So sei es! Feierlich streckt sie die Arme aus gegen den mystischen Strom und gelobt: „O mystischer Fluss, ich bin Dein“. Dann zieht sie den Schleier von sich und stürzt sich von einem Felsvorsprung in die Fluten. Der Opernbesucher ist gespannt, was jetzt passiert. Im Stillen wundert er sich, dass Alberich auf Bräute aus ist, nachdem er mit den Rheintöchtern keine guten Erfahrungen gemacht hat. Durch Erfahrung gewitzt, platziert er sie außerhalb seines Flussbettes. Auf dem schroffen Felsen am jenseitigen Ufer sitzt nun mittels Projektion Loreley. Sie ist komplett transformiert, trägt ein langes rotes Kleid und hält in der Hand einen goldenen Kamm. Das blonde Haar wallt lose über ihre Schultern. Nymphen und Luftgeister kommen aus den Felsspalten und machen ihre Verbeugungen wie vor einer Königin und der Geisterchor singt „Salve, fanciulla fatalmente bella. Salve possenta Fata, del sacro Reno insiem sposa ed ancella”. Nun ist Loreley nicht länger Geist eines toten Mädchens. Ein boshaftes Lächeln umspielt ihre Lippen: „Walter, jetzt nehme ich Rache!“

2. Akt:

7. Szene

Trillernde Nachtigallen verstecken sich in der wohlriechenden Hecke. Heute ist Annas Seele voller Freude. Die Hochzeit mit dem geliebten Walter steht an. Freundinnen und Cousinen umringen sie. Der Tag singt, die Blumen singen und die Liebe lächelt. Die Mädchen wissen, wie man der ranghöheren Freundin schmeichelt. Man befindet sich im Schloss des Markgrafen von Biberich. Er ist Annas Onkel und ihr von Herzen zugetan. Im Garten, direkt an den Ufern des vorbeifließenden Stromes, plätschert ein kleiner Neptunbrunnen. In der Ferne, auf der anderen Seite, fällt ein malerischer Felsen steil ins Wasser. Walter, der Anna zur Gemahlin begehrt, wohnt auf der Burg, die nebenan hoch auf dem Felsen thront.

Hochzeitsgeschenke treffen ein. Der Juwelier bringt eine Schatulle, und Anna bewundert ein herrliches Collier mit schneeweißen Perlen – gewiss stammen die Austern von Assyriens Küsten. Dazu kommt ein wertvolles Armband aus persischen Saphiren. Anna hat sich Reiherfedern ins Haar gesteckt und will von den Freundinnen wissen, ob Gesprenkeltes zu ihrem weißen Kleid passt. Schön machen will sie sich für ihren Walter, den sie innig liebt. Die kostbaren Geschenke beweisen, dass es sich umgekehrt genau so verhält. Noch nie hat man Anna so strahlen gesehen.

Kinder aus dem Dorf bringen Wildblumen, die Bäuerinnen Edelrosen. Die Beschenkte riecht an der Pracht und bedankt sich. In der Nacht hatte Anna böse Träume, die hoffentlich nicht wahr werden. Schnell geht sie noch in die Hauskapelle, um sich auf ihren großen Tag einzustimmen und die Mutter Gottes um ihren Beistand zu bitten.

8. Szene

Auf dem Rückweg ins Schloss stoppt Herrmann ihre Schritte. Der Verzweifelte kommt mit seinen Emotionen nicht zurecht, und eine mysteriöse Kraft treibt ihn zu ihr. Der Trübsinn hat ihn erfasst und er habe ihr eine notwendige Mitteilung zu machen. Sorge hat ihn ergriffen, weil eine rücksichtlose Lüge ihre Zukunft bedroht, denn Walter liebe sie nicht mehr. Anna reagiert mit Schärfe. Was maßt er sich an, ihr den Himmel zu verderben? Er will sie retten, behauptet er und schaut so treu aus seinen blauen Augen wie es ihm möglich ist. Seine Tränen können unmöglich lügen, wenn er ihr erklärt, dass er sie liebe, und es erschaudert ihn, wenn er sieht, dass ein betrügerischer Geist sie zum Altar geleiten wird. Selbst wenn wahr ist, was er sagt, werde sie den Weg des Schicksals gehen. Jede Diskussion ist überflüssig, sie wird Walter gehören! Gut, dann soll das fromme Mädchen ins Verderben rennen.

9. Szene

Für festliches Gepränge sorgt die Musikkapelle, und ein gemischter Chor trägt Traditionelles zur Hochzeit vor. Von weit her sind Gäste angereist, die Walter und der Markgraf eingeladen hat. Alle sind auf das Feinste herausgeputzt, denn für die Region ist es von Bedeutung, wenn der Adel sich verbindet und die Zinnen des Schlosses und die hohen Türme davon zeugen können. Die Landfrauen verteilen schmale Sträuße, denn jetzt wird der

BLUMENWALZER

getanzt. Anschließend formatiert sich der Hochzeitszug zur feierlichen Prozession. Walter steht an den Füßen der Treppe und wartet, bis das Portal sich öffnet und Anna mit Krönchen im weißen Brautkleid heraustritt. Der Markgraf und die Brautjungfern umringen sie. Ihr Blick hat eine tiefe Traurigkeit erfasst, während sie die Stufen hinabsteigt. In der Mitte hält sie an und ihr Körper zittert vor Anspannung. Walter kommt ihr entgegen und reicht ihr den Arm. Auch er ist in Unruhe. Die Braut soll sich nicht grämen, wenn er sein Lächeln für später aufheben wird. Anna spricht von ihrer Hingabe, dass der Brautschleier nun ihm gehören werde. Der Markgraf lässt sich vernehmen: Anna soll glücklich sein, denn das goldene Brautbett wartet auf sie. Dann führt der Burgherr die Brautleute herum und stellt sie wichtigen Gästen persönlich vor. Die Glocken läuten und die Orgel spielt ein Präludium, damit die Hochzeitsgäste nun den Weg in die Kirche finden. Hermann hört nicht auf, Anna anzustarren und versucht sogar, ihr in einem unbewachten Augenblick zuzuwispern, dass sie die Blässe von Walters Wangen zur Kenntnis nehmen soll.

10. Szene

Plötzlich geschieht etwas Unerwartetes. Ein Blitz zuckt auf und versetzt den Rhein in orangefarbene Beleuchtung. Gegenüber auf dem Felsen in der Ferne sitzt die schöne Loreley in einem blitzenden scharlachroten Palettenkleid. Mit einem goldenen Kamm kämmt die Bewunderungswürdige ihre blonden Haare, greift anschließend zu einem kleinen Zupfinstrument und lässt betörende Sphärenklänge ertönen. Walter hat das unbestimmte Gefühl, dass das Ständchen für ihn gedacht sein könnte, und unterdrückt einen Aufschrei. Das dubiose Licht verstärkt sich und kommt in Windeseile näher. Plötzlich steht ein Wunder von Schönheit im Garten. Ist es eine Fee oder eine Heilige? Die Füße liefen so schnell, dass sie das Wasser gar nicht zu berühren schienen. Die Gäste drängen sich schützend an die Mauern von Burg und Kirche. Tränenüberströmt steht Walter völlig ergriffen allein in der Mitte der großen Bühne. Der Markgraf meint, dass ein solch erhabener Tag kein Anlass zu Tränen sein sollte. Anna will wissen, was Walter sieht. Dieser kann kaum antworten, denn eine furchtbare Faszination brennt in seinem Herzen und lähmt ihn.

Nur für Walter und das Opernpublikum vernehmbar, beginnt Loreley zu ihm mit leiser Stimme zu sprechen. Sie klagt nicht an. Sie macht keine Vorwürfe. Sie lockt. Will er Bekanntschaft mit einer außerordentlichen Verzückung machen und in einer Ekstase von himmlischer Süßigkeit erschlaffen? Dann soll er sich an ihren Busen schmiegen. In langer Umarmung wird sie sein Gemüt entflammen und sein Herz mit Liebe füllen. Oh zwingende Bezauberung, faszinierende Macht. Die Tage unserer Liebe kommen zurück.

Anna steuert auf ihren Bräutigam zu: „Walter, komm zu dir!“ Am ersten Tag ihres gemeinsamen Lebensweges soll er sie nicht zurückweisen. Will er ihr das Herz brechen? Ein ruchloser Tag! Der Markgraf drückt seine Nichte liebevoll an sein Herz. Es ist nur ein kurzer Irrtum der Gefühle, der den Geist des Bräutigams überschattet. Der Chor ist sich noch immer nicht im Klaren, ob die Erscheinung eine Frau, ein Engel oder ein Teufel ist, begreift aber immerhin, dass der Ablauf des Geschehens nicht Bestandteil des offiziellen Programms ist. Herz und Geist aller fühlen sich ergriffen.

Loreley nimmt die Augen von Walter nicht weg und bewegt sich rückwärts zum Strom. Seit langem wartet sie auf seine Küsse, sie erfleht eine einfache Regung seines Herzens. Er soll mitkommen auf eine leuchtende Insel, die mit Blumen bedeckt ist. Jeder berührt und küsst jeden. Sorgen gibt es keine! Dort werden sie leben in Verzückung. Der liebste Stern soll zur wärmenden Sonne kommen! In Walter brennt ein unauslöschliches Feuer. Ihre Faszination hat Wirkung gezeigt. Er kann nicht länger widerstehen. Sie soll warten. Er wird mitkommen, sie wird sein, und er wird ihr für immer gehören. Infernalische Magie! Anna wirft sich Walter zu Füßen, er soll ihr zu hören. Er will ihre Argumente nicht hören und schiebt sie mit dem Fuß weg. Der Knoten ist gelöst. Er hat sie nie geliebt. Ein Schrei ist Annas letztes Lebenszeichen.

Loreley schreitet rückwärts über das Wasser zu einer Sandbank. Walter folgt ihr und versucht sie zu greifen, doch plötzlich ist sie verschwunden. Sie sitzt wie immer in gleicher Pose auf der Spitze des Felsens und kämmt sich. Verdammt noch mal!

3. Akt:

11. Szene

So wahr es im Himmel Engel gibt, das Rheintal hat eine neue Fee. Viele haben sie beim Kämmen ihrer Haare beobachtet. Musikliebend ist sie auch. Wenn sie singt, bevorzugt sie zur Begleitung eine kleine Harfe, die sie meisterhaft spielt. Ach, solchen verrückten Glauben soll man doch den Kindern überlassen. Ein Holzfäller erklärt, dass er nur an den Teufel glaube und in Notfällen wende er sich an die Jungfrau Maria. Die Fischer flehen den heiligen Kaspar an, ihre Netze zu segnen. Er kommt aus dem Morgenland, hat Ahnung von Magie, und seine heiligen Knochen hat man nach Köln gebracht.

Max, der Bootsmann, hatte bereits ein Zusammentreffen mit der schönen Hexe. Sie war ganz bleich, und die blonden Haare, die wie Wogen ihre Schultern umflossen, waren ungekämmt. Wahrscheinlich hat sie beim Hexensabbat zu viel Alkoholisches zu sich genommen. Mit dem Boot ist er ganz dicht an ihrem Felsen vorbeigesteuert. Sie wollte ihn zum Liebsten und hat versucht, nach ihm zu greifen, aber er hat das Ruder geschwungen und konnte das Boot im letzten Moment noch herumreißen und dem brodelnden Kessel ausweichen. Geärgert hat sie sich, die Gischt ist hochgeschäumt und dann war sie auf einmal verschwunden. Man beschließt, das Thema abzubrechen, den Durst zu löschen und ein gutes Glas rheinischen Wein zu trinken.

12. Szene

Warum ist die schöne Jungfrau aus dem Leben zum Himmel entflohen? Ein Beerdigungszug kommt vorbei. Der Markgraf schreitet hinter dem Sarg, denn Anna soll nun zur letzten Ruhe gebettet werden. Aus Liebe ist sie gestorben. Wenn ein Stern am Himmel erlischt, zittert der Strahl noch eine ganze Weile. Die rote Hexe auf dem Felsen hat ihren Tod verursacht, und Walter ist der Schuldige. Hermann steht mit niedergeschlagenen Augen unter dem Wegkreuz und weint. Er hat versucht, die Unschuld zu retten, aber seine Bemühungen hatten keinen Erfolg. Der Traum seiner Wünsche ist verblasst.

Zufällig kommt Walter vorbei und fragt völlig ahnungslos, wer die Tote im Sarg sei. Anna, der Stern von Oberwesel, hat die Welt verlassen. Als Walter Annas Namen hört, stößt er einen Schrei aus. Er bewegt sich auf den Sarg zu und will den Deckel öffnen, um die bleichen Lippen noch einmal zu küssen. Der Markgraf versperrt ihm den Weg und verweigert den Zutritt. Der Chor empört sich und der Sargdeckel bleibt geschlossen. Der Verräter soll Reue empfinden und sein Leben der Buße weihen. Eine Klinge, eine Klinge! Walter ruft nach einer Klinge, weil er seinem Leben ein Ende setzten will. Von den Menschen ist er verflucht und die Hölle wird seine Zuflucht sein. Er soll dahin gehen, wo für ihn der rote Schleier ausgebreitet ist. Am Himmel ist ein Stern gestorben, aber auf der Erde zittert noch der Strahl. Die Gläubigen stimmen liturgische Gesänge an. Walter singt unwillkürlich mit, bis der Leichenzug sich verzogen hat.

13. Szene

„Wo bin ich? Was ist passiert?“ Es ist Walter, der dumm fragt. Seine Sinne sind nicht mehr ganz beieinander. Dichte Schatten haben ihm das Licht des Tages geraubt. Walter schaut zum Fluss. Der Mond ergießt sich und beleuchtet das Wegkreuz. Ein unheilvoller Schatten taucht unter dem Kreuz auf. „Wer bist du bleicher Geist und was willst du? Für welchen Fehler bringst du Strafe?“ Der Schatten reagiert und nimmt die Konturen von Anna an. „Arme Anna!“ Anna verschwindet. Nun sieht Walter geheimnisvolle Lichter. Von seinen Selbstmordgedanken wird er abgelenkt, weil er beobachten möchte, was passiert. Es folgt der

TANZ DER UNDINEN.

Die kleinen Wassergeister fühlen sich plötzlich beobachtet und stürmen erschrocken davon, um sich zu verstecken. Walter wird schließlich als ungefährlich eingestuft. Sie kommen zurück, formen einen Kreis und tanzen um ihn herum. Plötzlich ertönt eine Stimme aus dem Untergrund, ein faszinierendes Licht erscheint und mit wirrem Haar steht plötzlich Loreley vor dem Verdutzten. Die kleinen Undinen fallen vor der Braut des Rheins nieder, huldigen protokollgemäß, um dann schleunigst zu verschwinden.

14. Szene

Loreleys Erinnerungsvermögen beginnt zu zerbröseln, denn auch Geistwesen sind der Vergänglichkeit unterworfen. Sie fragt, wen sie vor sich habe. Walter sei er, sie soll ihn doch erkennen. Gleich einem wilden Tier läuft er ihr nach und lechzt nach Liebe. Loreley versteht sein Ansinnen nicht. Sie ignoriert prinzipiell, wenn jemand sagt, dass er sie liebe. Es wird ihm nichts ausmachen, wenn die Menschen ihn verachten, wenn sie nur bei ihm bleibe. Erinnert sie sich nicht ihrer großen Liebe? Doch, sie erinnert sich, aber sie sagt ihr nichts mehr. Sie möchte hassen, aber sie ist dazu nicht mehr fähig. Sie ist auch nicht Loreley, sondern sie sei ihr Geist, der zu ihm spricht - im Begriff sich aufzulösen. Er solle sie jetzt verlassen, weil sie nichts mit ihm anzufangen weiß. Sie sei seine letzte Zuflucht, jammert er, und in seinem Gesicht solle sie die Tortur seines Herzens ablesen. Jeder fluche ihm. Er versucht, sie zu umarmen. Doch eine gebieterische Stimme aus der Tiefe erinnert den Luftgeist an einen Eid. Loreley befreit sich aus seiner Umarmung. An ihre erste Begegnung im Wald erinnert sie sich sehr wohl. Es war das Entzücken ihrer ersten Liebe. Diese Zeit ist vorbei. Jetzt ist sie ein Luftgeist und die Geliebte des Rheins. Sieht Walter den Felsen? Er ist ihr wirklicher Thron. In einer Höhle stehe ihr Bett und „nel fondo de Ren la tomba mia - Addio!“ Walter sieht das Ende seiner Seufzer. Er stürzt sich in den Rhein. Die kleinen Undinen schauen neugierig hinterher, wie das Wellengrab sich schließt.


Letzte Änderung am 7.9.2007
Veröffentlichung mit Zustimmung von musirony