Modest Petrowitsch Mussorgski (1839-1881):

Sorotschinskaja jarmarka [Сорочинская ярмарка]

deutsch Der Jahrmarkt von Sorotschintzi / englisch The Fair at Sorochinsk / französisch La Foire de Sorotchinsky

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1874-80
Uraufführung: 16. März 1911 in St. Petersburg (konzertant) zum 30. Todestag von Mussorgski
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Verlag: Petrograd, New York und Paris: W. Bessel, 1924 und 1953
Bemerkung: Dem russischen Komponisten Wissarion Schebalin verdankt die Musikwelt eine gültige Fassung des Jahrmarktes von Sorotschintzi, wie sie in heutiger Zeit am Bolschoi-Theater in Moskau inszeniert wird. Anlass war der fünfzigste Todestag des Komponisten. Nikolai Rimski-Korsakow hat sich merkwürdigerweise um eine Vervollständigung nie bemüht, obwohl er allgemein als Nachlassbetreuer Mussorgskis angesehen wird.

Andere Komponisten haben versucht, den fragmentarischen Klavierauszug zu vokalem und orchestralem Leben zu verhelfen, sie sind entweder gescheitert oder haben die Lust verloren. Es fallen so prominente Namen wie César Cui, dessen Bearbeitung am 13. Oktober 1917 in Sankt Petersburg zur Aufführung kam, aber wenig Resonanz erhielt. Anatol Liadow unternahm einen Versuch, dem ein weiterer von Antonin Tscherepnin folgte. Letzterer schuf eine französische Version, die am 16. März 1923 in Monte Carlo mit großem Beifall zur Uraufführung kam. Eine deutsche Erstaufführung gab es am 6. Mai 1925 in Breslau.

In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts studierte der Dirigent Juri Aronowitsch eine kompetente Einspielung mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester der UdSSR ein.

Zur Oper

Art: Oper in drei Akten nach einer Novelle von Nikolai Gogol aus dem Zyklus „Abend auf einem Weiler nahe Dekanka“
Libretto: Textfragmente vom Komponisten, Musikalisch-textliche Neubearbeitung von Wissarion Schebalin
Sprache: russisch
Ort: ein Dorf in der Ukraine
Zeit: im 18. oder 19. Jahrhundert

Personen der Handlung

Tscherewik: ein Bauer
Parassja: seine Tochter
Chiwria: seine Frau, Parassjas Stiefmutter
Gritzko: ein junger Bauer
Afanassij Iwanowitsch: der Sohn des Popen
Der Gevatter: ein Freund der Familie
Der Zigeuner: ein Spaßvogel
Tschernobog: der oberste Teufel
Weitere: Mädchen und Burschen, Zigeuner, Händler und Händlerinnen, Kosaken und Juden

Handlung

1. Akt:

Der Jahrmarkt von Sorotschintzi ist ein Ereignis, an dem die gesamte Bevölkerung regen Anteil nimmt. Von überall her sind die Bauern mit ihrem Fuhrwerk angereist und verkaufen Kartoffeln von ihrem Acker, Gemüse und Blumen aus dem Garten oder die Milch ihrer Ziegen und Kühe. Die jungen Mädchen, wenn sie schön sind und dicke schwarze Zöpfe haben, machen sich an die jungen Burschen heran, in der Erwartung, dass sie ihnen bunte Bänder oder ein schönes Tuch kaufen werden. Beziehungen werden geknüpft, die Heiratsvermittlerinnen haben Hochkonjunktur. Das Bäuerlein passt sorgsam auf, dass es beim Pferdekauf nicht betrogen wird.

Tscherewik, ein Bauer aus der Gegend, besucht mit seiner Tochter Parassja den Markt. Voller Entzücken betrachtet das Mädchen die vertrauten Muster an Truhen und Textilien. Die dicke Halskette aus Bernstein gefällt ihr ganz besonders gut. Aber wenn Tscherewik ihr das alles kaufen wollte, was sie gerne hätte, müsste er zuerst seine Stute zu Geld machen.

Zigeuner sind natürlich auch anwesend. Sie machen sich einen Spaß daraus, die abergläubischen Bauern zu ängstigen. Die „Blutrote Jacke“ gehe wieder um und treibe ihr Unwesen auf dem Jahrmarkt. In der nahe gelegenen Scheune habe sie sich festgesetzt, um von dort aus zu operieren. Sobald der Abend anbricht, werden aus allen Ecken Schweinsrüssel angekrochen kommen. Wer ihnen versehentlich zu nahe kommt, wird attackiert. Die Bauern nehmen die Warnungen des Zigeuners, dem sie Kompetenz zutrauen in allem was auf sie suspekt wirkt, unbedingt ernst. Ein bisschen pfiffig sollte man sein, wenn die Hölle ihre Pforten öffnet, um nicht Schaden zu nehmen

Der Bauernbursche Gritzko hat sich an Parassjas Fersen geheftet. Keineswegs ist er ihr unangenehm und mit strahlendem Lächeln nimmt sie seine Komplimente entgegen. Nicht einmal getanzt haben die beiden miteinander und schon hält Gritzko um die Hand der Dorfschönen an. Die Verlobung könnte man vielleicht gleich in der Schänke um die Ecke begießen. Der Opernbesucher überlegt, ob selbst für dörfliche Verhältnisse nicht ein bisschen überhastet gehandelt wird, und behält recht. Chiwria taucht plötzlich im Wirtshaus auf und macht einen Strich durch sämtliche Rechnungen. Chiwria ist die zweite Frau Tscherewiks und hat Haushalt und häusliche Angelegenheiten fest im Griff. Auf keinen Fall wird die Autoritäre ihre Zustimmung geben, denn der Taugenichts hat ihr eine Handvoll Kuhmist ins Gesicht geworfen, als sie über die Brücke fuhren. Wenn Chiwria einmal ablehnt, bleibt es auch dabei. Gritzko hat die Auseinandersetzung aus einiger Entfernung mitbekommen und ist betrübt, dass seine Verlobung ein so schnelles Ende gefunden hat. Der Zigeuner hat die Situation beobachtet und entwickelt eine Idee, wie Gritzko das Mädchen trotzdem bekommt. Wird er ihm im Erfolgsfall einen Ochsen für zwanzig Rubel überlassen? Gritzko setzt volles Vertrauen in seine Verschlagenheit, er wird das Stück Vieh sogar für fünfzehn Rubel bekommen, wenn er tatsächlich das Mädchen als sein eigen betrachten kann.

2. Akt:

Tscherewik schläft zu Hause auf der Ofenbank seinen Rausch aus. Den Popensohn erwartet die Frau des Hauses zu Besuch und sie ist dabei, etwas Schönes für ihn zu kochen. Gegen ein kleines Liebesabenteuer mit ihm hat Chiwria noch nie etwas einzuwenden gehabt. Sie wartet jeden Moment darauf, dass ihr Mann das Schnarchen einstellt und erwacht. Sofort fängt sie Streit mit ihm an und jagt ihn aus dem Haus. Er soll sich heute Nacht im Schuppen unter den Wagen legen und aufpassen, dass keiner die Stute oder das Getreide stiehlt. Tscherewik möchte aber nicht im Schuppen übernachten, weil die „Blutrote Jacke“ umhergeht. Diesmal kann Chiwria sich nicht durchsetzen. Ihr Mann verlässt zwar das Haus, aber nicht in Richtung Getreideschuppen.

Sehr füllig und ein bisschen in die Jahre gekommen, wirkt die Resolute trotzdem auf den unbeholfenen jungen Mann begehrenswert. Vor dem Spiegel macht sie sich noch ein bisschen zurecht und trällert ein Liebeslied. Endlich sieht sie den Popensohn kommen. Ein bisschen ungeschickt mit den Füßen, stolpert er und fällt in die Brennnesseln neben der Gartenbank. Chiwria ist besorgt und kümmert sich sofort um den Verunglückten. Die Körperstellen, die mit dem Unkraut in Berührung gekommen sind, müssen gekühlt werden. Ist auch wirklich nichts gebrochen? Danach fällt Afanassij mit Heißhunger über die Mahlzeit her. Die rechte Hand braucht er, um den Löffel zu halten, die andere hat er um die Taille seiner Wirtin gelegt. Soviel Dreistigkeit hätte ihm niemand zugetraut. Der liebe Gott mag wissen, auf welche Gedanken der liebe Afanassij Iwanowitsch heute Nacht noch kommen wird.

Es klopft an die Haustür. Tscherewik und der Gevatter sind zurück und haben noch Gäste mitgebracht. Den Popensohn, welcher um sein körperliches Wohlergehen fürchtet, versteckt Chiwria im Hängebett unter einer dicken Bettdecke. Die angeheiterte Gesellschaft möchte ihr Gelage fortsetzen. Chiwria wird aufgefordert, Wodka heranzuschaffen. Gesprächsstoff bietet die „Blutrote Jacke“, die wie „der brüllende Löwe umhergeht und jeden zu verschlingen sucht“. Der Gevatter hat keine Angst, er prahlt damit, dass er sogar dem Teufel ins Gesicht spucken würde, wenn er jetzt vorbei kommen und sich zu ihnen setzen würde. Die Gäste stimmen ein Kosakenlied an.

Plötzlich scheppert der Blechteller zu Boden, den der Popensohn ins Hängebett mitgenommen hat, um seine Spuren zu verwischen. Um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, stimmt Chiwria das Lied von der armen Kosakenfrau an. Unbemerkt tippt sie an das Wandregal und die Teller klirren zu Boden. Die Geräuschkulisse hat sich in einen anderen Winkel verlagert, aber was war die Ursache der Erschütterung? Die „Blutrote Jacke“ kann es theoretisch nicht gewesen sein, denn diese klirrt nicht, sondern sie grunzt. Tscherewik ist es egal, der Wodka hat ihn gefestigt, und seinetwegen kann die „Blutrote Jacke“ jetzt erscheinen, er wird sie verprügeln. „Man soll den Teufel nicht an die Wand malen“, sagt eine alte Volksweisheit. Der Opernbesucher hat das Recht, nun endlich zu erfahren, was es mit der „Blutroten Jacke“ auf sich hat. Der Gevatter wird aufgefordert, die Geschichte zu erzählen:

Ein kleiner Teufel sei gegen Tschernobog, den Obersten der Teufel, ungehorsam gewesen und wurde deshalb der Hölle verwiesen. Planlos irrte er auf der Erde umher und wollte sich erhängen. Strolche verabreichten ihm Alkohol und der Teufel wurde süchtig. Selbst wenn man aus der Hölle kommt, den Wodka, den man im Lokal bestellt hat, muss man immer bezahlen. Der Wirt gab keinen Kredit mehr und der Zechpreller musste seine schöne rote Jacke als Pfand zurücklassen. Nach einem Jahr würde er wiederkommen und sein Kleidungsstück einlösen, verabschiedete sich der Höllenbewohner. Der Wirt geriet selbst in Vermögensschwierigkeiten. Um neue Getränkevorräte einkaufen zu können, verhökerte er die rote Jacke an einen ortsfremden Händler. Nach Ablauf eines Jahres erschien der ehemalige Gast in der Schankstube und wollte seine Jacke einlösen. Der Wirt stellte sich dumm und tat so, als ob er von nichts wisse. Wie sich jeder denken kann, lässt der Teufel sich nicht straflos begaunern. Nachts klirrten alle Fensterscheiben und Schweinsköpfe steckten ihren Rüssel in die Schlafkammer des Gastwirts.

Von draußen hört man plötzlich ein grunzendes Geräusch. Alle schrecken zusammen und der Gevatter muss seine Erzählung unterbrechen. Chiwria lacht die Männer aus und beschimpft sie als Feiglinge. Der Erzähler schließt mit der Bemerkung, dass die Schweinsrüssel auf den Wirt zugekrochen sind und ihn arg malträtiert haben. Seine blutrote Jacke hat der Teufel bis heute nicht zurückerhalten. Deshalb besucht er jedes Jahr den Markt von Sorotschintzi, um nach ihr zu suchen.

Mit einem lauten Knall zerbricht die Fensterscheibe und eine große Schweinefratze starrt in die Stube. Alles schreit durcheinander. Ein Tumult entsteht und jemand stößt aus Versehen gegen das Hängebett - der Popensohn fällt herunter. Doch jetzt ist nicht die Zeit, sich mit Nebensächlichkeiten auseinanderzusetzen, wenn die Pforten der Hölle sich geöffnet haben. Tscherewik und der Gevatter stülpen sich einen Tontopf über den Schädel und alle stürzen ins Freie.

3. Akt:

Tscherewik und sein Begleiter stolpern mit ihrer Sichtbehinderung völlig außer Atem über die Dorfstraße. Von den Bauernburschen werden sie für Diebe gehalten und gefesselt. Gritzko und der Zigeuner sind zur Stelle und versprechen sie zu befreien, wenn Tscherewik am nächsten Tag die Hochzeit mit Parassja arrangiert. Dem Opernbesucher ist klar, dass es die beiden waren, welche die Fensterscheibe zur Guten Stube zertrümmerten und den Schweinskopf durch die Öffnung schoben. Aber Chiwria hatte den Spuk nicht durchschaut, steht unter Schockeinwirkung und vergisst, der Hochzeit zu widersprechen. Der begüterte Gritzko schmeichelt der Hausfrau, ihr und ihrem Mann zu Wohlstand zu verhelfen und sämtliche Weizenvorräte nebst Stute aufzukaufen. Der Zigeuner möchte nicht in Vergessenheit geraten und erinnert mit einem verschmitzten Lächeln an die versprochenen Ochsen, die er unverzüglich zum Vorzugspreis auch bekommt.

Gritzko legt sich ermüdet unter einen Baum und hat einen fantastischen Traum, in dem sich in einer kahlen hügeligen Landschaft unter Anführung des Oberteufels Tschernobog Hexen und Teufel zum Hexensabbat einfinden, um mit dem Besen herumzualbern. Zu diesem Szenario - von Wissarion Schebalin fabelhaft ausgedacht – erklingt als Einschub in die Oper die Symphonische Dichtung „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“. Dem Ballett wird an dieser Stelle eine dankbare Aufgabe zugewiesen.

SZENENWECHSEL

Die Hochzeit wird festlich begangen. Was wäre eine Hochzeit ohne Hochzeitschor? Der Pope legt die Hände von Gritzko und Parassja ineinander. Ein Hoch auf das schmucke Brautpaar! Chiwria möchte ihre Autorität noch einmal zur Geltung bringen und gebärdet sich als Störfaktor. Sie wird von ein paar kräftigen Bauernburschen gepackt und unter allgemeinem Gelächter an einen Baum gebunden. Die Zigeuner sorgen für stimmungsvolle Musik und alle tanzen einen Hopak.


Letzte Änderung am 29.1.2017
Beitrag von Engelbert Hellen