Othmar Schoeck (1886-1957):

Massimilla Doni

Allgemeine Angaben zur Oper

Entstehungszeit: 1934/35
Uraufführung: 2. März 1937 in Dresden (Staatsoper)
Leitung: Karl Böhm
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Spieldauer: ca. 130 Minuten
Erstdruck: Wien: Universal Edition, 1936
Verlag: Zürich: Hug & Co., 2009
Opus: op. 50

Zur Oper

Art: Oper in vier Akten und sechs Bildern
Libretto: Armin Rüeger nach einer Novelle von Honoré de Balzac
Sprache: deutsch
Ort: Venedig und Venetien
Zeit: um 1830

Personen der Handlung

Herzog Cattaneo: Exzentriker und Patron der Sängerin Tinti (Tenor)
Herzogin Massimilla Doni: Verlobte des Herzogs, aber Emilio Memmi in Liebe verbunden (Sopran)
Capraja: Cattaneos Freund und Mäzen Genoveses (Bass)
Emilio Memmi: ein junger Edelmann (Tenor)
Fürst Vendramin: ein älterer Freund Memmis (Bariton)
Genovese: ein Operntenor (Tenor)
Clarina Tinti: eine Opernsängerin (Sopran)
Weitere: Gäste, Bediente, Bühnenpersonal, Gondolieri, Straßenverkäufer, Kinder

Handlung

1. Akt:

1. Bild:

Auf einem herrschaftlichen Landsitz in Venetien pflegen Emilio und Massimilla ihre platonische Beziehung. Beide sind jung und appetitlich, so dass es sie optisch und seelisch zueinander drängt. Doch die Mutter hat es durchgesetzt, dass Massimilla mit dem Herzog Cattaneo eine nuptiale Verbindung eingehen soll, denn alter Adel glänzt nur dann vortrefflich, wenn auch wirtschaftliche Spannkraft den Hintergrund ausschmückt. Die Donis haben kein Vermögen, deshalb hat Massimilla sich unter den Augen der heiligen Madonna aus Gründen der Zweckmäßigkeit mit dem Herzog Cattaneo verlobt, in dessen Immobilie sie sich aufhält und auch hier den Besuch Emilos empfängt.

Der alte Herzog hat alles, was die Liebe angeht, hinter sich gebracht und genießt die Gesellschaft Massimillas daher ohne exklusive Beanspruchung. Der Einflussreiche bemüht sich, für das Opernhaus „La Fenice“ geeignete Besetzungen zusammenzustellen. Die Tinte ist zur gefeierten Primadonna aufgestiegen, die er an der langen Leine hält. Nun ist er in der Lage, seinem besten Freund Capraja einen Streich zu spielen, indem er ihm den Tenor Genovese, den dieser beschützt, abspenstig macht, um ihn für einen Auftritt in einem großen Haus seiner Wahl zu gewinnen. Cattaneo setzt seine Verlobte in Kenntnis, dass sie sich für einen Besuch nach Venedig fertig machen soll. Den sensiblen Emilio trifft es ins Mark, weil nun Massimilla zum Turteln in der gewohnten Gartenlaube nicht mehr zur Verfügung steht. Ist es nicht ein Dilemma, dass die Donis genötigt sind, nach lukrativen ehelichen Verbindungen Ausschau zu halten, um den alten Adel noch einmal zum Flimmern zu bringen. Emilio Memmi hat auch einen hochachtbaren Namen, aber leider kein Geld. Wovon soll der Schornstein rauchen?

Emilio ist Massimillas große Sommerliebe. Aber ein Sommer kann nicht ewig währen, heißt es im Libretto. Bis zu Trennungsstunde soll kein Schatten ihren Himmel trüben, sagt sich Massimilla. Selbst wenn er kein Herzog ist, so bleibt er doch ihr Prinz! Seine bittere Armut drückt den Umschwärmten nieder - er hat keine Mittel, um der Geliebten einen Ring oder eine Spange zu schenken und der alte Palast am Canale Grande müsste dringend saniert werden. Die Mäuse haben bereits den Weg aus dem Wasser in die Vorratskammern gefunden und belagern schon die Küche.

Dem Glanz einer hohen Frau ist Emilio nicht gewachsen, denn wie soll dieser zur Geltung kommen, wenn die Kerzen in den Leuchtern seiner Villa bis auf den Stummel abgebrannt sind. „Wirklich, Massimilla, es ist unmöglich in dem ehrwürdigen Gemäuer eine Partie zu feiern!“ sagt er zu ihr. Doch was haben Reichtum und Prunk mit ihrem Glück zu tun, beschwichtigt vorwurfsvoll die unendlich Verliebte: solche Dinge treten ins Abseits, wenn das Herz gesprochen hat. Beim ersten Amselruf im Frühling dankte sie dem Himmel, dass er den lieben Emilio erschuf, und wenn sie nachts die Hände falte, ist es um den Schöpfer zu bitten, ihr ihn zu erhalten. „Mit jedem Atemzug erfüllst du mich und all meine Blicke suchen dich!“ Jawohl, in ihrem Herzen ist Emilio ihr Herr und König!

Der Herzog kommt die Freitreppe herunter und hat seinen alten Busenfreund Capraja dabei. Die beiden setzen sich auf die Veranda und Emilio mit seiner Herzensdame gesellen sich ihnen zu. Die Herzogin sei erblüht wie eine Blume! War die Einsamkeit erträglich, der Sommer schön und der Prinz charmant? Und er? War seine Reise angenehm? Hat er die Freunde, die er suchte, gefunden? Den Träumen nach Venedigs vergangener Größe ist er sehnsuchtsvoll nachgegangen, entgegnet melancholisch der Herzog.

Capraja erklärt Massimilla, dass die Opernspielzeit in Venedig wieder einmal begonnen habe. Ein Ereignis der seltenen Art im Reich der Töne stehe dem anspruchsvollen Publikum bevor. Der herrlichste aller Tenöre wird seine Stimme erheben. Emilio kenne seinen Namen ebenfalls. Ist es nicht Genovese aus Bergamo? Capraja belehrt ihn, dass seine Musik ungebrochene edle Leidenschaft kennzeichnet und einen Instinkt für die echte Melodie hat er auch - dabei ist er erst 23 Jahre alt. Herzog Cattaneo hält dem alten Freund wie immer das Gegenspiel. Er soll doch mit dem Wahn, von dem er unheilbar besessen ist, aufhören: Er vermeide es stets, die Hauptsache zu betonen. Glänzender als jeder Tenor sei der Sopran der Tinti. Von seiner Tinti habe sie noch nie gehört, heuchelt Massimilla scheinbare Unwissenheit! Cattaneo holt nun aus : Als Kind habe er sie entdeckt und von besten Lehrkräften fördern lassen. Nun ist sie fertig und schwebt der Bühne zu. In solchen Fällen passiert es einem Schmetterling leicht, dass er den edlen Gönner vergisst. Doch ehe Paris und London sie rauben, hat er verfügt, dass Venedig sie berührt. Massimilla wird staunen, wenn sie seinen Schützling singen hört.

Ach, und deshalb soll sie jetzt plötzlich nach Venedig eilen? Capraja kommt seinem Freund verbal unverhofft zur Hilfe. Die beiden Stimmen nicht zu hören, wäre eine unverzeihliche Unterlassung; Reue würde sie zeitlebens verzehren. Dass es so etwas noch gibt, wundert sich Massimilla. Eine Loge ist jedenfalls angenehmer als eine Laube! Ist Herr Memmi nicht auch ein Freund der Oper? Die Liebe sollte allerdings auf dem Theater reinen Atem haben. Gut pariert! Allein die Stimme der Tinti sei ein triftiger Grund hinzugehen. Capraja erklärt nun Emilio genau das Gegenteil. Er fühle die Liebe, wenn er Genovese singen höre. Hell wie der Vollmond unter „Sternengeflimmer“ schäle sich sein Organ aus dem Chor der Stimmen heraus. Wie ein Springquell in der Sonne schwingt seine Stimme sich mühelos nach oben; mit lockerem Perlenfall stürzt sie danach ins Silberbecken, um im Herzen Frühlingssehnsucht zu erwecken. Capraja schäumt über:

„Da weichen Wände, die uns sonst umstellen
mit finsterer Schwere fallen wesenlos zurück.
Und aus dem Triebe dunklem Drange quellen
uns Visionen von verlorenem Glück!“

„Eviva la musica!“ Die Stimme der Tinti stürzt dem Herzog ins Blut und das Organ Genoveses rütteln an den Nerven von Capraja. Der Herzog wird missmutig, bestätigt aber: Wenn Genoveses Stimme allein erstrahlt, ist er göttlich, aber das höchste Ziel erreicht er erst im Zusammenklang mit der Sopranstimme. Capraja empört sich. Er fürchtet, dass Genoveses Glut sich niemals mit der kalten Höhe einer Tinti vermählen wird. Genau das ist sei Übel: Genovese wird es nie gelingen, aus den schwülen Niederungen der Gefühle zu entfliehen; anstatt, dass er seine Gefühle beherrscht, beherrschen sie ihn! Das wird sich schon noch zeigen, dass die Tinti auf ihren erstarrten Stelzen nicht niederschmelzen wird. Der Herzog entscheidet, dass sie nicht zusammenschrumpfen, sondern in stolze Höhe emporgerissen wird. Aus Kalt und Warm bildet sich dann eine neue Form.

„Dein Traum vom Zusammenklang,
mein Lieber, ist eitel Lug und Trug.
Die Stimme Genoveses
ist sich selbst genug.“

Die beiden Fanatiker finden kein Ende und jeder versucht, den anderen zu seiner Ansicht zu bekehren. Massimilla hofft, dass die Unverbesserlichen in den Regionen der Götter Atem finden können, den Spuren entschwundener Liebe nachzutrauern. Emilio denkt, dass seinem Herzen viel Pein erspart bleiben würde, wenn er auch so körperlos lieben könnte, wie die beiden Alten.

Man trennt sich. Der Herzog fragt bei Massimilla an, ob er ihr seinen Arm leihen darf. Emilio ist völlig zerknirscht – eigentlich ein Dauerzustand bei ihm. Die bedauernswerte Massimilla habe im Fürsten einen Mann, der er einmal war, aber eigentlich nicht mehr ist. Er bietet ihr Vermögen, hält sie fürstlich und in der Liebe gibt er ihr all das, wozu er noch fähig ist - nämlich grenzenlose Freiheit.

Und dann kommt die Unselige ausgerechnet zu ihm und will ihn krönen, aber er hat kein Geld, sich als strahlender Fürst zu präsentieren. Sie gibt ihm ihre Seele, die das Wunder ahnt, doch seine heißen Sinne bleiben ungestillt, denn er versucht zu fliehen. Und wenn sie zu ihm sagt, er sei ihr Gott, kommt ihm das vor – wie böser Spott. Wieso bemächtigt sich die Natur seiner zu solchem Widerspruch? Wieso belegen ihn die Götter mit solchem Fluch? Der Opernbesucher weiß es auch nicht!

Wie gut, dass Vendramin, ein anderer väterlicher Freund, ihm begegnet und das Material hat, ihn auf andere Gedanken bringt. Wohin so stürmisch? Ist er auf der Flucht vor Fortunas Jagdgefolge? Er soll getrost warten, bis sie selbst kommt.

Emilio heißt den Freund willkommen, der wissen will, ob seine Post ihm schon vorausgeeilt sei. Er hat keine Ahnung, was die Botschaft enthält, aber seine Anwesenheit sei für ihn bedeutsam, damit er ihm die Hand drücke und seine Zweifel zu Fall bringt, bevor er sich selbst verloren gibt. In welche Richtung denkt Emilio, er sei doch selbst ein Entwurzelter in heutiger Zeit.

Der Unglückliche versucht nun, sich dem Freund zu erklären, dass er vergessen muss, denn die Zeit des reinen Glücks, in der er schuldlos liebte, ist vorbei. Die Gefahr, die ihm droht ist er selbst: Er kann nicht länger wie die Engel lieben, denn sein Fleisch ist schwach. Soll er etwa das, was ihm das Höchste ist, niemals heiß umfangen und an sich pressen können. Den Trank der Erfüllung – soll er ihn nie von ihren Lippen schlürfen dürfen. Das Opernpublikum schüttelt mit dem Kopf! Wenn es mit Massimilla aus rätselhaften Gründen nicht klappt, soll Emilio sich doch einer anderen Frau zuwenden. Emilio weiß auch nicht, was mit seiner Person los ist. Die Glut, die ihn verzehrt kommt in Massimillas unschuldsvollen Nähe zum Erlöschen oder dümpelt lediglich vor sich hin.

„Und heuchlerisch legt sich der Drang gekühlt
als hätt' er träumend nur damit gespielt.“

Endlich rückt Vendramin mit der Nachricht heraus, welche große Neuigkeit er für seinen jungen Freund hat. Sein Onkel in Varese sei gestorben und nun trete er als letzter Memmi mit allen Titeln und Würden seine Rechte an. Reich und als Fürst kehrt er nun in den Palast zurück, den er als armer Prinz verlassen hat.

Emilio ist überhaupt nicht erfreut, denn das Schicksal narre ihn immerzu. Er solle ihn mit seinen schlechten Scherzen in Ruhe lassen, fordert er den Freund auf. Nur bei der Ablenkung von Spiel und Trinkgelagen, sei es ihm möglich, bei Verstand zu bleiben. Fürst Vendramin rät, sich Massimilla aber zuvor in seinem neuen Rang zu zeigen, bevor er unpässlich wird. Sie wird sich herzlich mit ihm freuen. Nein, Emilio möchte nicht den Eindruck erwecken, dass er durch seine Rangabzeichen ein anderer Mensch geworden sei. Glaubt er nicht, dass seines Adels Trefflichkeit bei ihr Wirkung zeigen wird? Emilio stürzt davon. „Und wieder sinkt er in tiefe Nacht wie ein Venedig ohne Glanz und Macht.“ Vendramin ist gekränkt, weil der Freund ihn einfach stehen lässt und beklagt sich später bei Massimilla.

2. Akt:

2. Bild:

Emilio hat eine Kröte zu schlucken, denn der, Palast den er von seinem Onkel geerbt hat, ist zurzeit nicht bezugsfähig. Er kann dort nicht einziehen, weil das Gebäude vermietet ist. Ohne Wissen Emilios hatte Fürst Cattaneo die Liegenschaft verwaltet und an die Tinti abgegeben. Die Primadonna hält in der neuen Umgebung Hof und wird von ihrem Tenor-Kollegen Genovese umlagert.

„Will Clarina ihn morden? Sie kann es mit ihrem Lachen!“ Ach, er geht ihr auf die Nerven mit seinem ständigen Flehen. Sie rückt den silbernen Armleuchter zurecht, der protzig auf dem Tisch steht. Vielleicht schaut er sich einmal um, denn hier wohne sie jetzt. Den schönen Palast, der bisher leer stand, hat Cattaneo für sie angemietet und alles auf das Feinste dekorieren lassen. Der Alte hat Ahnung, wie der Käfig für seinen Goldfasan beschaffen sein muss. Nur halbwegs hört der Startenor hin, denn von seinen Liebesgefühlen wird er massiv bedrängt. Von Herz zu Herz will Genovese mit ihr reden! Alles banales Geschwätz, welches sie nicht vom Hocker reißt. Hat man je davon gehört, dass, wer sie sah und singen hörte, ihr nicht verfiel? Sie ist es gewohnt von allen umschwärmt, geliebt und begehrt zu sein. Genovese behauptet, dass es ihm ähnlich ergehe. Die Weiberherzen fliegen ihm zu, wenn er mühelos bis zum hohen C aufsteigt. Dann soll er bitte verzeihen, wenn sie ihm bisher widerstand. Beide frotzeln noch ein bisschen miteinander bis sie keine Lust mehr hat, den Dialog fortzusetzen. Sie habe ihn lediglich gebeten, ihn zu begleiten und nicht, die Nacht mit ihr zu verbringen. Er soll jetzt verschwinden, der Herzog komme gleich. Schritte kommen die Treppe herauf. Kurzerhand öffnet die Tinti eine Tapetentür, erstickt seinen Widerspruch, indem sie ihm ihre Hand vor den Mund hält und geleitet ihn auf Schleichwegen zum Ausgang.

Doch es ist nicht der Herzog, sondern Vendramin der seinen jungen Freund kurz in seine neue Umgebung einweisen und ihm die Schlüssel überreichen will. Dem Staunenden erklärt er, dass die herrliche Wohnhalle mit Blick aufs Meer jetzt ihm gehöre. Emilio wagt es gar nicht, diesen schönen Palast als sein Eigentum zu betrachten. Sogar die Kerzenleuchter wurden von unbekannter Hand angezündet und in der Karaffe funkelt Rotwein. Vendramin füllt zwei Gläser mit dem herrlichen Getränk, um einen Toast auf die Zukunft Emilios anzubringen. Seinem jungen Freund wünscht Vendramin, dass er gut schlafen und etwas Angenehmes träumen möge.

Emilio ist nicht so verstiegen zu glauben, dass es Massimilla war, die den Willkommensgruß arrangiert hat. Wer es auch immer gewesen sein mag, der für den Aufwand zuständig ist, kümmert ihn nicht. Jetzt will er ein bisschen schlafen, egal was später auf ihn zukommt: Suchte er nicht ein Abenteuer? Wenn eins käme, würde es ihm willkommen sein. Im Schlaf soll es ihn überfallen. Gesegnet sei die Müdigkeit! Emilio zieht sich in den Hintergrund zurück und lässt sich ermattet auf ein Sofa sinken.

Die Tinti hat ihren Tenor entsorgt und kommt zurück, ohne zu bemerken, dass noch eine weitere Person anwesend ist. Wie entzückend wäre die Wohnung, wenn sie nicht einen halb verrückten Narren als Zugabe tolerieren müsste. Ach, der Herzog ist noch gar nicht da. Wie schön, wenn er sie vergessen hätte und überhaupt nicht käme. Fehlanzeige! Grotesk herausgeputzt tritt er, unter dem Arm eine eingewickelte Geige mit sich schleppend, ein. Er zeigt sich besorgt, ob der goldene Wundervogel sich in seiner Abwesenheit auch nicht gelangweilt hat. Emilio ist grenzenlos überrascht, als er den Herzog erkennt, verhält sich aber „mucksmäuschenstill“ und erkundigt sich insgeheim beim Teufel, was das zu bedeuten habe. Des Herzogs Goldfasan soll offen sagen, wenn noch etwas fehlt. Es wurde wirklich alles getan, um ihr eine würdige Unterkunft zu schaffen. Die Umworbene ist zufrieden und als Belohnung möchte der Herzog ihr nun etwas auf seiner Geige vorspielen, wenn sie damit einverstanden ist. Sie ist es nicht, lässt es aber geschehen, obwohl es schon spät ist. Das Instrument klingt grauenvoll. Endlich kann der Alte dem Bogenstrich ein paar klägliche Töne entlocken und erwartet, dass seine Nachtigall mit ihrem Goldkehlchen einfällt. Widerwillig erfüllt sie ihm seinen Wunsch, und singt von trunkenen Faltern, die sich im Zauber wiegen und schwankend das Ziel umfliegen. Während er mit seinem Instrument sich abmüht und dabei langsam mit seinen Schritten den Raum durchmisst, erwartet ihn eine Überraschung.

Der Ungläubige starrt in den Hintergrund und erblickt Emilio auf dem Sofa. Ja, zum Henker, das geht wirklich zu weit. Eine Unverschämtheit von der Schelmin, ihm so etwas zu bieten. Auf der Stelle soll sie mit dem Singen aufhören und ihm nicht die Ohren zerfetzen. Frau Tinti erregt sich, denn sie ist es nicht gewohnt, tadelnde Worte auf sich einprasseln zu lassen. Nun gewahrt auch Clarina den seltenen Gast auf dem Sofa und ist spontan entzückt. Der Herzog erkennt Emilio und artikuliert: „Sie sind es, der sich hier versteckt? Wir treffen uns ein bisschen oft, mein Prinz!“ Cattaneo habe ihn bei der Herzogin vermutet. Die Beste würde ihn wohl schwerlich hier vermuten. „Oh, ein Prinz!“ kreischt die Tinti auf, denn ein solch seltenes Tier fehlt offenbar noch in ihrer Kollektion.

Emilio ist beleidigt und spricht die treffenden Worte: „Sie sahen mich in ihro Gnaden Haus – nun sehe ich sie in meinem – wir sind quitt!“ Die Tinti zieht in Zweifel, dass ihr Haus dem Herzog gehört, deshalb verbessert Cattaneo mit Nachdruck, dass man sich hier im Palast des Fürsten von Varese befinde. Emilio reagiert knapp, dass der Arme gestern starb und er der Erbe sei. Nun auch gut, dann sei er der Mieter der Immobilie und seine Hoheit, der Fürst Memmi, wird geruhen sie in ihrer Häuslichkeit nicht länger zu stören. Die Tinti betrachtet ihren Gast mit steigendem Wohlgefallen und sagt dann sehr bestimmt: „In meiner Wohnung bin nur ich zu Hause. Da möchte ich tun und lassen, was mir gefällt.“ Emilio hält auch einen passenden Spruch bereit. Er gesteht, dass sein Erstaunen nicht kleiner sei als das seiner Dialogpartner. Mit Bedauern muss er zur Kenntnis nehmen, dass er empfindlich stört und will sich der peinlichen Affäre entziehen? Die Tinti drückt ihr Erstaunen aus, dass der Herzog sich einbilde, die Wohnung gehöre ihm. Dieser zerplatzt vor Ärger, denn es schere ihn nicht, wem was gehöre, ihm genüge, was er sieht. Clarina schwört, dass sie ihn nicht betrog – sein Verdacht sei falsch. Und wen sieht er leibhaftig vor sich? Wenn er denkt, dass er mehr sieht, wie sie ihm sagt, dann soll der alte Zauberfürst sich fortscheren, denn dann liebt er sie nicht mehr.

Frau Tinti ist außer sich und nicht geneigt, sich länger zu beherrschen. Sie gibt dem Herzog ihr Wort, dass er sie nie mehr sehen wird, wenn er nicht auf der Stelle abhaut. Sie hofft, dass er verstanden hat und sie heute Abend in Frieden lässt. Er glaubt nicht, dass sie an Frieden denke, sondern etwas anderes ihr im Kopf herumspukt. Dem Alten reicht es, er packt seine Fidel und entfernt sich. Clarina ist so wütend, dass sie sich nun auf den unschuldigen Emilio stürzt und an seine Ehre appelliert. Schließlich wusste er, dass sie unschuldig ist, sagte aber kein Wort, um den Verdacht des Herzogs zu entkräften. Emilio entgegnet, dazu nicht aufgefordert worden zu sein.

Einmal ein Märchen zu erleben wäre zu schön. Durch einen Fürsten jung und reich sieht sich die Tinti von der Tyrannei des Alten befreit. Aber noch hat sie den Emilio nicht so weit. Er fragt sie kühl, ob sie die berühmte Primadonna sei, die am „La Venice“ singt. In der Tat, wenn es sein Begehren ist, die Tinti kennenzulernen, sei er hier am rechten Ort. Nein, widerspricht Emilio, es war ein Irrtum, der ihn überlistet habe und es sei sein Wunsch, sich unverzüglich zu entfernen. Aber nicht doch, warum denn so eilig? Muss es denn sein. Die Verführerin setzt sich ans Klavier und trällert vor sich hin. Gern würde er sie im Theater einmal hören, doch jetzt bittet er um die Erlaubnis, sich verabschieden zu dürfen. Clarina singt unbeirrt weiter. Er bekommt das Gefühl, dass die verführerische Hexe ihn zu Narren machen will. Ihre erotischen Reize betören ihn, aber von einer Herzensregung spürt er nichts. Sie singt weiter und versperrt ihm den Weg zum Ausgang, indem sie rückwärts vor ihm her läuft.

Auf Massimilla anspielend fragt sie direkt, ob er die Herzogin liebe. Weshalb bleibt er nicht bei ihr? Ist Liebe nicht dort wie hier“ Wie schön wäre es, Massimilla in ihr zu finden, denkt Emilio. Warum will er fortlaufen? Bei ihr finde er mehr, nämlich seiner Wünsche Paradies. Er darf sie töten, wenn sie ihm zu viel versprach. Wo treibt sie ihn hin? Die Götter sollen ihm Erlösung schicken. Verfluchte Sirene! „Ich bin der Himmel Dir auf Erden, mein Geliebter!“ Er hebt sie zu sich empor und sie nimmt ihn sich zur Brust! Jetzt gehört er ihr. Du meine Güte, war das eine Prozedur!

3. Bild:

Im Teatro Fenice ist der Chor im Begriff, das Finale zu proben. Bühnenarbeiter sind damit beschäftigt, die Versatzstücke einer bukolischen griechischen Landschaft zu arrangieren. Der Chor ist mürrisch, weil man ihn warten lässt und reklamiert die mangelnde Beachtung der Kunst.

Vendramin beruhigt den überspannten Emilio: Er solle es nicht so schwer nehmen, denn im Grunde sei ihm doch nichts geschehen. Emilio ist anderer Ansicht, denn man sei in sein Herzenskämmerlein eingedrungen und habe die Tugend heimtückisch erschlagen. Vom Blut sei er verraten und vom Geist verlassen worden. Danach durchraste er in der Nacht Wonnen, die er vorher nie gekannt habe. Jetzt weiß er endlich wer er ist!

Die Herzogin ist eingetroffen, aber Emilio fühlt sich nicht in der Verfassung, sie im Moment zu sehen und will davonstürzen. Die Tinti lugt durch den Vorhang und stellt mit Genugtuung fest, dass Emilio zur Generalprobe doch gekommen ist. Massimilla will ihm über das Haar streichen, doch er weicht zurück. Nun sinkt der Labile auf die Knie und erklärt, dass er bis zu diesem Moment nicht wusste, wie sehr er sie liebe. Tinti hat die Geste mitbekommen. Wenn die Sache also so steht, wird sie gezwungen sein, eine Intrige zu spinnen. Massimilla befragt ihren Galan, wo vergangene Nacht sein Haupt geruht habe und welche Träume jetzt darin wohnen würden? Zurückblickend wünscht er sich, dass es nur ein Traum gewesen wäre. Was meint der Liebste eigentlich mit dem, was er von sich gibt. Emilio beklagt, dass seine Einzige nicht bei ihm war. Massimilla bittet ihren Verehrer, sie nicht mehr zu verlassen. Seine Gegenwart soll ihr helfen, den Herzog zu ertragen.

Der Herzog ist eingetroffen, steht an der Brüstung seiner Loge und hält eine kleine Ansprache an die verehrten Damen und Herren. Er macht aufmerksam auf den außerordentlichen Kunstgenuss zweier Stimmen, die sie bald hören werden.

Es wäre verfehlt, den Capraja im Report nicht zu erwähnen, denn beide lassen nun einen Disput vom Stapel über den Wert der Kunst, dem keiner zu folgen bereit ist. Die Vorstellung beginnt und zeigt eine ländliche mit Pinien bewachsene griechische Landschaft, die von Hirten bevölkert wird. Im Mittelpunkt steht Genovese im Cocktail-Kleidchen und hat sich unter die Hirten gemischt. Er singt ein albernes Liedchen über seine entflohene Schäferin. Bravo Genovese! So etwas nennt Capraja Gesang und animiert die Leute zu klatschen. Der Her Herzog möchte nicht ins Hintertreffen geraten und bittet die Zuschauer um Geduld, denn gleich komme die Tinti. Emilio springt wie elektrisiert hoch und meint, die Situation nicht ertragen zu können. Will Emilio schon wieder davonlaufen? Massimilla ist ratlos und hat keine Ahnung, welchen Attacken die Gefühlswelt des Geliebten ausgesetzt ist. Kann die edle Herzogin ihn denn nicht verstehen, versucht Vendramin zu beschwichtigen. In höchster Erregung bittet Emilio den väterlichen Freund, das reinste Herz, was auf Erden schlägt, zu verschonen.

Jetzt ist der Auftritt der Tinti angesagt. Entsinnen sich die Gespielinnen, die sie anmutig umtanzen, wie der gelbe Stier sich ihnen einst zutraulich näherte, als sie am Ufer spielten? Der Mädchenchor erinnert sich tatsächlich, dass sie seinen Hals mit Laub und Blumen umkränzten und auch sein Horn schmückten. Die Tinti fährt fort, dass der Stier plötzlich verschwunden war und aus dem Gebüsch sich ein junger Hirte näherte, den keiner von ihnen kannte. Der schöne Fremdling hatte die Mädchen mit seinem Gruß so sehr erschreckt, dass sie wie Tauben davonflogen. Tinti klärt das verehrte Publikum auf, dass Jüngling und Stier ein und dasselbe Wesen gewesen sind, dazu noch göttlichen Ursprungs. Woher will sie das so genau wissen? Der Amme war es im Traum so verkündet worden und die Genannte hat ihr wohlwollend geraten, ihres Herzens Drängen zu meistern. Hat sie jemals geliebt, fragt Genovese die schöne Schäferin oder weiß sie gar nicht wie ein Minotaurus das anstellt? Das ist ja Wahnsinn, meldet sich der Chor.

Capraja ist wütend, denn Genovese war nicht in Form - sein Auftritt war unerträglich. Genovese entschuldigt sich zum Schein, dass es das erste Mal gewesen sei, dass er die Partie übernommen habe. Hat ihn sein Geist völlig verlassen, fragt sich das Publikum. Die Tinti bittet den Herzog, dass er einschreiten soll, damit in der Abendvorstellung sich das Drama nicht wiederholt und Genovese ständig aus seiner Rolle fällt. In der Tat, die Tinti kann sich nicht beruhigen, denn er hat ihr alles verdorben. Die Primadonna ist verzweifelt. Sie kann heute nicht mehr singen. Es schnürt ihr die Kehle zu und sie bekommt keine Luft.

Der Herzog wendet sich an die Gäste, sie sollen bitte verzeihen, den Tenor habe das Stück seelisch erregt, der Zustand dürfte bis zum Abend aber wieder abklingen. Was hat der Unselige nur angestellt?. Genovese ist sich keines Kunstfehlers bewusst. Er wendet sich an Massimilla, die doch wissen muss wie es um die Gefühlswelt eines Tenors bestellt ist. Sang er etwa nicht gut? Nun als Mensch habe er sinngemäß reagiert, versucht die Irritierte zu trösten, denn sie ahnt, dass Genovesi bis über die Ohren in die Tinti verliebt ist und die letzten Reserven aus dem Hals gebrüllt hat, wozu er in der Lage ist. Der Chor lässt Massimilla ob ihres klugen Urteil hochleben.

3. Akt:

4. Bild:

Massimilla freut sich, dass sie von Capraja Besuch bekommt, denn Emilio lässt sich bei ihr nicht mehr blicken. Offenbar ist ihm das Refugium der Liebe zum Irrgarten geworden. Er meidet ihre Gesellschaft und zieht es vor, allein zu leiden. Capraja möchte sich bei der teuren Herzogin bedanken, dass sie seinem
Schützling Genovese mit ihrer weisen Beurteilung ein wenig aus der Verlegenheit geholfen hat, nachdem seine gesangliche Darstellung beim Publikum absolutes Missfallen auslöste. Im Prinzip seien seine musikalischen Qualitäten über jeden Zweifel erhaben, doch was dieser Mensch in der Generalprobe mit seiner Stimme angerichtet habe, war einfach verheerend. Der Schlag, den der Zögling seinem Ruf versetzte gleicht einem Fiasko. Er hofft, dass er in der Abendvorstellung seinen Kehlkopf unter Kontrolle hat.

Massimilla hat wenig Hoffnung, denn die Tollheit eines Menschen ist nicht durch gute Lehren zu heilen. Ohne Einsicht wird Genovese sich durch seine Disziplinlosigkeit noch seinen Ruhm zerstören. Welchen Stellenwert hat schon der Glanz, wenn in tausend Qualen das Herz zerspringt? Es gibt Männer, die alles blind zertreten, wenn sie sich in ihrer Leidenschaft verirrt haben! Manchmal genügt schon ein Lächeln oder der Händedruck eines Freundes, um alles wieder ins rechte Lot zu bringen. Wenn alles so einfach ist, dann wollen sie doch schnell zum Palazzo Memmi eilen, um zu retten, was noch zu retten ist. Massimilla sieht den vorgeschlagenen Ort als unpassend an, denn dort wohnt doch der Herzog mit seiner Hexe.

5. Bild:

Die Abendvorstellung ist verklungen und die einzelnen Gruppen diskutieren im Widerspruch zu ein einander. Die Tinti war hinreißend, dagegen Genovese eine Katastrophe. „Feiert die Tinti! Eviva Tinti! Liebe, Jubel, Blumen und Triumphe sollen ihren Weg begleiten! Ihrem Namen gebührt Unsterblichkeit.“ Genovese wird niedergemacht: Der Mann ist erledigt! Es ist nicht zu fassen, wie falsch er gesungen hat. War das Genovese, von dessen Ruhm ganz Italien klingt? Es ist ein Skandal! Der Arme hat den Verstand verloren, betrunken war er auch noch. Einfach empörend, was der Prahlhans sich leistet. Capraja fragt den Tenor direkt, warum er so Brüllen musste?

Genovese will von ihm wissen, ob er eine Vorstellung hat, wie einer gequälten Seele zumute ist. Natürlich, wenn allein aus der Brunst ohne das Mittel der Kunst, sich der Kehle Töne entringen, entsteht ein fragwürdiges Resultat. Solche Worte lassen Genovese kalt; er bringt sich in Positur und verströmt eitel Wohlklang. Das Publikum wendet sich in der Beurteilung seiner Stimme um einhundertachtzig Grad. „Bravo, Da Capo! Das war Genovese, Herrlich! Unglaublich! Ein Gott, wie er sang.“ Capraja möchte ihn umarmen, denn so kennt er ihn wieder. Was ritt ihn im Theater für ein Teufel?“ Genovese kehrt den Spieß um, denn im Theater war er gut und soeben habe er sich nur parodiert.

Die Menschen drängt es nun nach Hause. Die Grüppchen, die zusammen gehören, versuchen sich eine Gondel zu sichern. Aus der Dunkelheit taucht Emilio auf und plant sich in Selbstmordabsicht von der Brücke zu stürzen. Der Gestörte verabschiedet sich von seinen Freunden pauschal mittels Zuruf. Wohin will er gehen? Ein Schritt genügt und er seit für immer fort. Vendramin versucht, ihm den Gedanken auszureden. Er solle doch ein bisschen an Massimilla denken und an den Kummer, den er ihr bereiten würde. Nein, ihrer Liebe ist er nicht mehr wert. Sie hat ihm einen lieben Brief geschickt und ihn beschworen, nicht mehr dahin zu gehen, wo die Tinti wohnt. In der Tat, es war ein verruchter Trost, den er dort fand, ein Flammenmeer, ein unlöschbarer Brand – Emilio hält seinen philosophisch getönten Abschiedsmonolog. Gerade als er springen will, nähert sich ihm eine weibliche Gestalt in einem dunklen Umhang und ruft seinen Namen. Ist es etwa Massimilla, die Sehnsucht nach ihm hat? Er soll von der Brücke kommen und zu ihr in die Gondel steigen. Vendramin dankt den Göttern, dass sie noch Wunder zulassen. „Komm in die Gondel, mein Liebling, ach steige nur ein!“ Aber das ist doch die Stimme der Tinti. Wagt die schamlose Teufelin, ihn zu trügen? Ihr Engel soll sie an seiner Brust zu Tode drücken. Fleht sie. Warum nicht? Dann fahren sie eben gemeinsam zur Hölle. Die Tinti gibt dem Gondoliere Weisung, gerade aus zu fahren. „Mein Prinz, ich brenne nach dir!“ Sie wirft sich ihm an den Hals und die Gondel gleitet davon.

4. Akt:

6. Bild:

Ein Gondelpfahl hat geknarrt. Die Tinti und Emilio steigen die Stufen zum oberen Stockwerk verstohlen empor. Den Herzog möchte Emilio aber heute nicht vorfinden. Er soll getrost sein, niemand wird sie heute Nacht stören. Emilio gerät bereits in Wallung. Die Hölle wird sie beide verschlingen und in einer Brandung der Leidenschaft werden sie untergehen. Ist ja schon gut, der Prinz soll sich beruhigen, schon bald wird er im Himmel sein.

Doch unten im Haus ist Trubel. Capraja, der Herzog und Genovese sind anwesend. Emilio soll in ihrem Schlafgemach auf sie warten, denn Signora Tinti fühle verpflichtet, sich ihren mehr oder weniger willkommenen Gästen zu zeigen. Zu ihnen zählen auch der tolle Hammel und der verrückte Alte. Die Tinti soll den Ungeduldigen aber nicht zu lange warten lassen, denn sonst sieht sie ihn nie wieder. Bei allen Heiligen, er soll bleiben! Clarina würde am liebsten die Tür hinter ihm absperren, damit er nicht entweichen kann. Genovese fühlt sich beunruhigt, weil er seine geliebte Primadonna noch nicht zu Gesicht bekommen hat. Ihr wird schon nichts passiert sein, sein Getue findet Capraja lächerlich. Der Herzog an Caprajas Seite meint, es stehe dem Tenor doch völlig frei, in Clarinas Zimmer nachzuschauen. Ach, die Halunken haben sie vielleicht woanders hingebracht! Der alberne Schwätzer soll sich in Acht nehmen. Der Herzog gibt sich beleidigt, offenbar scheint man ihm das Schlimmste zuzutrauen. Na endlich, da ist sie ja! Die Gesellschaft fängt nämlich an, um sie besorgt zu sein. Genovese nimmt sie in die Arme. „Immer noch der Stier“ höhnt Capraja? Europa ist da, der Stier habe sie gebracht, informiert der Herzog die Gäste im Saal und schallendes Gelächter antwortet ihm. Evivva, Evivva, die Tinti lebe hoch!

Vendramin ist erleichtert, denn er hat die Ankunft Massimilla, die er dem Emilio zuschustern will, unten in der Halle erblickt. Die Herzogin ist völlig verstört, denn Vendramin hatte ihr geschrieben, dass der arme Emilio noch völlig vor die Hunde geht, wenn die Hochgeschätzte sich nicht opfert. Selbstverständlich ist Massimilla zu allem bereit, wenn es um die Gesundheit des geliebten Emilio geht. Auch zu dem, was ihm in seinem Zustand jetzt allein noch hilft, will ein Freund wissen? Heraus mit der Sprache! Was muss sie tun? Vendramin zeigt mit dem Finger auf die Tür, hinter der Emilio im Moment harrt. Was denn, so nahe? Die Verehrungswürdige soll ihn richtig verstehen. Es handelt sich um das Schlafgemach der Tinti. Und wo ist sie? Wenn es ihr nicht gelingt, dem Herzog zu entrinnen, ist sie gleich da! Ist es wahr, dass die Erhabene bereit ist, hineinzugehen? Warum denn nicht? Schließlich geht es um sein Leben. Wie ist sein Plan? Vendramin reicht Massimilla den Bademantel der Tinti. Die Mutige wirft ihn sich über und schreitet ins Schlafzimmer, als ob sie die Tinti sei. O welch eine Frau, wo solche mutigen Kräfte walten, da muss die Liebe triumphieren!

Signora Tinti kommt die Treppe hoch. Vendramin vertritt ihr den Weg. „Wohin du schönes Kind.“ Was geht ihn das an? Was nimmt er sich heraus?“ Seine Pflicht sei es, im Haus Wache zu halten. Er soll beiseite gehen. Vendramin entgegnet sehr ernst: Fürst Memmi wünscht nicht gestört zu werden. Die Tinti schimpft Fürst Vendramin eine gedungene Kreatur. Er solle zur Hölle fahren! Es soll keiner wagen, sich zwischen Emilio und sie zu stellen. Tinti zieht einen Dolch und Vendramin mahnt sie, sich an dem spitzen Ding nicht zu verletzen. In Unkenntnis der Hintergründe verlegt die Hausherrin sich aufs Bitten und fragt, wie viel er fordere. Vendramin erklärt, er sei Emilios Freund und nicht auf Entlohnung aus. Emilio sei im Begriff, sein lang ersehntes Glück zu finden. Die Einzige, die er liebt und die Einzige, die nur ihn begehrt habe das Geschick ihm nun endlich zugeführt. Die Tinti fühlt sich wie erschlagen, als sie erfährt, dass Herzogin Massimilla sich in ihrem Schlafzimmer aufhält und greift sich ans Herz. Er wird die Rivalin von sich jagen, denn Emilio gehöre einzig ihr. Mit physischer Gewalt packt Vendramin die Rasende am Ärmel und hält sie fest. Die Tinti behauptet, auf der Stelle zu sterben, doch ihr Bedränger entkräftet ihr Vorhaben und hat einen weisen Spruch zur Hand:

„Zeit heilt alle Leiden,
im großen Spiel sind wir nur die Figuren,
die rücken müssen, nach verborgenem Sinn,
und was wir selber als Verlust erfuhren,
das ist vielleicht im Grunde der Gewinn.“

Die Schluchzende lehnt sich ans Treppengeländer. Was kümmert sie der Sinn? Ihr wurde ein Traum zerstört, der köstlichste seit ihrer Jugendzeit. Unten im Saal singt Genovese.


Letzte Änderung am 26.2.2013
Beitrag von Engelbert Hellen